Der Goldstone-Bericht und
der nationale Chor
Von
Yizhak Laor
Falls jemand geglaubt
hat, unsere Politiker und Moderatoren streiten mit
ihrem schlechten Geschmack nur dann über den Titel,
wenn die Witwe eines Piloten über ihren Pilotensohn
trauert, der sollte sie auch in dem Gerangel hören,
wenn sie wie Solisten in einer schlechten Oper
singen, die man: „Goldstone - der Widerling“ nennen
könnte.
Jenseits der
einseitigen Rezitationen, zeichnet sich die Oper
durch die Vagheit ihrer Argumente aus, in denen nur
eines zu hören ist: „Alles was man über uns sagt,
ist Lüge, und überhaupt, wir dürfen alles“.
Jedenfalls kehrt ein Motiv bei allen immer wieder,
bei den Solosängern und im Chor: Israel war
gezwungen, die Aktion „Gegossenes Blei“
durchzuführen. War es das wirklich?
Wer kann sich noch
erinnern, dass man vor dem Krieg den
Waffenstillstand verlängern konnte und Israel es
ablehnte? Wer kann sich noch erinnern, dass die
letzten zwei Monate vor dem Krieg relativ ruhig
waren, trotz der Belagerung von Gaza? Wer kann sich
daran erinnern, dass die Belagerung selbst eine
eklatante Verletzung des vorigen
Waffenstillstandabkommens war, den auch Israel
unterschrieben hatte? Wer will behaupten, dass diese
(Straf)Aktion tatsächlich dafür vorgesehen war,
Gilad Shalit zu befreien? Wer ist bereit zuzugeben,
dass die Debatte vor dem Krieg im Kabinett sich so
anhörte, als wäre es eine Debatte vor den Wahlen:
Die Vertreter von Kadima prahlten untereinander, wer
größere Versprechen macht „die Hamas Regierung zu
beseitigen“, und Ehud Barak hat vor ihnen gewarnt
und vor „der Begeisterung der Rechten“? Warum
erinnert ihr euch nicht? Weil auch das öffentliche
Gedächtnis Agenten braucht. Zum Beispiel, eine
Partei, die jetzt sagen soll: Wir, die wir den Krieg
abgelehnt haben, haben euch gewarnt, dass es so
kommen wird.
Der nationale Chor
verstärkt nur, was im Goldstone-Bericht nicht
ausdrücklich gesagt worden ist, aber durchaus hinter
den stärker werdenden Forderungen steht, Israel zu
boykottieren und seine Offiziere in Den Haag vor
Gericht zu stellen: Es gibt in der israelischen
Demokratie kein Kontrollsystem für das, was der
Staat seinen palästinensischen Untertanen angetan
hat, und deshalb darf man die Opfer der
militärischen Maschinerie nicht der Gnade des
Staates überlassen, nur wegen ein paar wohlmeinender
Leute, die ab und zu von ausländischen Medien
interviewt werden.
Wer geglaubt hat, dass
Israels „Konsens“ - einschließlich des
allmählichen Verstummens des Obersten Gerichts
(denken wir nur an die Operation ‚Regenbogen’ in
Rafah im Mai 2004 als das Gericht sich weigerte,
bei der massenweisen Zerstörung von Häusern sich
einzumischen, aber das Militär mit einer
„humanitären Entscheidung“ anwies, den
Palästinensern zu erlauben, ihre Toten zu
beerdigen) - einschließlich des Verschwindens einer
parlamentarischen Opposition bei Kriegen (zum
Beispiel während der Feiertage vor fünf Jahren:
„Operation Hohe Feiertage“, zwei Wochen von
ununterbrochenem Töten von zig Zivilisten) – wer
geglaubt hat, dass dieser Konsens und die
Verwandlung des Staates in einen, der Mantras
deklamiert, den Staat stärken wird – wird langsam
klüger. Es stellt sich heraus, dass Israel eine
Einheit ist: Die Trennungsmauer, die
„Umgehungsstraßen“, die schreckliche
Arbeitslosigkeit in den besetzten Gebieten, die
Straßensperren, die Hungersnot in Gaza und die
Operationen mit den phantastischen Namen, all das
sind Teile eines Mechanismus’, der innerhalb des
Staates keine echten Gegner hat.
Die israelische
Demokratie funktioniert für Juden, die eine gute
Vertretung haben. Sie verweigert aber seit über 42
Jahren vier Millionen Menschen irgendeine
Vertretung. Es erlaubt sich selbst aber, mit ihnen
zu tun, was ihr gerade gefällt und alles im Namen
des demokratischen „nationalen Konsens“. Wer
verteidigt sie denn?
Israel pfiff auf das
internationale Recht während der Jahrzehnte
andauernden Besatzung. Dasselbe geschah auch in
Bezug auf die Siedlungen, als es ihren
ungesetzlichen Status mit Hilfe des Obersten
Gerichtes änderte, und in zunehmenden Maße stellte
es sich politisch oder militärisch, ohne interne
Opposition, hinter jeden Schritt als jemand, der
„keine andere Wahl“ hat.
Es gibt keinen besseren
Lackmustest für die Einmütigkeit der israelischen
Gesellschaft wie beim Geschrei gegen Goldstone, als
ob wir nicht wüssten, was unsere Armee im
Gazastreifen getan hat. Dieser Glaube, unsere Armee
sei die „moralischste Armee der Welt“, muss endlich
Risse bekommen.
Ha´aretz,
21.9.09
(dt. Melzer/ Rohlfs)
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