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Wieder auf dem Platz
Adam Keller 16.5.11 in
Crazy Country
Der 15. Mai war wieder einer dieser Tage, an
dem jedes Nachrichtenbulletin den Horror vergrößert. Ein
17-jähriger palästinensischer Junge wurde erschossen und andere
verletzt, während eine Demonstration im Silvan-Stadtteil
aufgelöst werden sollte, was Netanyahu noch immer als
„Vereinigtes Jerusalem, Hauptstadt Israels“ feiert. (Die Polizei
untersucht noch immer, ob dieser Tod von einem Polizisten oder
einem Siedlerwachmann verursacht wurde)
Und ein israelischer Fußgänger wurde getötet
und andere verletzt, als ein LKW im Süden Tel Avivs außer
Kontrolle geriet. (Die Polizei untersucht noch immer, ob der
Fahrer dies mit Absicht tat) Und dann ein Nachmittag mit
Überschwemmungen, Tötungen und Blutvergießen überall: an der
syrischen Grenze, an der Libanongrenze, an der Gazagrenze, so
dass man es kaum mehr zählen kann. Dem Qalandia-Checkpoint wurde
kaum Aufmerksamkeit geschenkt, wo keiner getötet wurde, es aber
stundenlang Tränengassalven gab mit Verletzten, die ins
Krankenhaus gebracht wurden.
Wie immer an solchen Tagen beginnen dringende
Telefonanrufe: „Hast du gehört, was los ist? Wir müssen
reagieren, auf die Straßen gehen und zwar schnell!“ Unter
enormen Zeitdruck wird ein Statement und ein Aufruf zur Aktion
entworfen: „Da überall im Land blutige Vorfälle passieren,
wollen wir uns heute Abend in Solidarität mit denen, die gegen
die Besatzung sind, versammeln und rufen: Nein zum Töten von
Zivilisten! Ja zum Volksaufstand!“
Die Botschaft ging über Telefon, Emails und
Facebook hinaus, und um 8 Uhr dreißig standen wir auf dem Platz
vor dem Tel Aviver Kino mit Postern zu den Autos gerichtet, die
die Carlebachstraße entlang fahren: „Stop, dort vorne gibt es
Kriegsverbrechen!“ „Stoppt das Töten von Zivilisten!“ Raue
Stimmen riefen und ein Dutzend Trommeln schlugen: „ Ihr dürft
keinen Volksaufstand töten“ / „Ihr dürft nicht töten, die Nakba
ist real“/ „ Barack, Barack hey, hey hey, how many demonstrators
did you shoot today?“ „Juden und Araber weigern sich , Feinde zu
sein“/ „Juden und Araber vertrauen einander“/ „Wir sind alle
zusammen ohne Hass und Angst“/ „ Komm schon, keine Tricks mehr,
lös die Siedlungen auf, sofort!“ „Demokratie wird nicht auf
toten Demonstranten aufgebaut!“ (Bei der Kabinettssitzung am
Morgen schalt Binyamin Netanyahu die Palästinenser, dass sie am
Jahrestag der Gründung Israels trauerten. Zu dem Zeitpunkt, als
er das sagte, lebten die meisten der gewaltfreien Demonstranten
noch, die heute getötet wurden.
Eine Gruppe arabischer Studenten der Tel
Aviver Universität hielt palästinensische Flaggen und sangen: „
Das Volk verlangt, die Besatzung zu stürzen!“ ein ausgeliehener
Slogan mit kleiner Veränderung von den jungen Leuten aus den
Straßen Kairos und Damaskus’. Auf der andern Straßenseite hält
eine kleine Gruppe orthodox-jüdischer Mädchen eine Gegendemo,
die die israelische Nationalhymne sang. Als sie zu den Worten
kamen „ein freies Volk in unserm Lande sein!“ rief einer der
Demonstranten in ihre Richtung: „das ist es, was die
Palästinenser auch wollen“. Ein Polizeifotograf tauchte
plötzlich auf und ging an den Demonstranten vorbei und
fotografierte jedes Gesicht. Er wurde begrüßt mit „Polizeistaat!
Polizeistaat!“
(dt. und gekürzt: Ellen Rohlfs)
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