Das Problem
mit Israel
Jeff Halper 16.11.06
Lasst uns
ehrlich sein: Das Problem im Nahen Osten ist nicht das
palästinensische Volk, nicht Hamas, nicht die Araber, nicht
Hisbollah, die Iraner oder die gesamte islamische Welt. Wir sind es,
die Israelis. Der israelisch-palästinensische Konflikt, die größte
Einzel-Ursache von Instabilität, Extremismus und Gewalt in unserer
Region, ist vielleicht der Konflikt auf der Welt, der am leichtesten
zu lösen wäre. Seit fast 20 Jahren, seitdem die PLO Israel in den
Waffenstillstandsgrenzen von 1949 (die "Grüne Linie", die Israel von
der Westbank und dem Gazastreifen trennt) anerkannt hat, hat jede
palästinensische Führung, mit Unterstützung der großen Mehrheit der
palästinensischen Bevölkerung, Israel dieses äußerst großzügige
Angebot gemacht: Ein jüdischer Staat auf 78% des Gebiets
Israel/Palästina gegen einen palästinensischen Staat auf nur 22% des
Gebiets – der Westbank, Ostjerusalem und dem Gazastreifen. Dieser
Vorschlag wird tatsächlich von der Mehrheit sowohl des
palästinensischen als auch des israelischen Volks befürwortet. Hier
ein Bericht vom 18.Jan.2005 in Ha'aretz:
Etwa 63% der Palästinenser
unterstützen den Vorschlag, nach der Etablierug des
palästinensischen Staats und der Lösung der anstehenden Fragen – das
schließt die Flüchtlingsfrage und Jerusalem mit ein – eine Erklärung
abzugeben, in der der Staat Israel als Staat des jüdischen Volkes
und der Staat Palästina als Staat des palästinensischen Volkes
anerkannt wird... Auf der israelischen Seite unterstützten 70 % den
Vorschlag für gegenseitige Anerkennung.
Und wenn Taba
und die Genfer Initiative Indikatoren sind, sind die Palästinenser
sogar bereit, einige der reichsten und strategisch wichtigsten
Gebiete rund um Jerusalem bis nach Modi'in gegen unfruchtbares Land
in der Wüste Negev zu "tauschen".
Was aber geschieht mit den Flüchtlingen, vermutlich
der schwierigsten Streitfrage in diesem Zusammenhang? Es ist wahr,
die Palästinenser möchten, dass ihr Rückkehrrecht anerkannt wird.
Schließlich ist es ihr Recht nach internationalem Recht. Sie
möchten auch, dass Israel seine Rolle bei der Vertreibung der
Flüchtlinge aus dem Land eingesteht, damit ein heilender Prozess
beginnen kann (Ich muss niemanden daran erinnern, wie wichtig es für
uns Juden ist, dass unser Leiden anerkannt wird). Sie haben aber
wiederholt gäußert, wenn die Angelegenheit zur Verhandlung kommt,
wäre ein Packet mit Wiederansiedlung in Israel und dem
palästinensischen Staat, plus Kompensation für diejenigen, die in
den arabischen Staaten bleiben wollen, plus die Möglichkeit der
Ansiedlung in Kanada, Australien und anderen Ländern, eine durchaus
annehmbare Lösung für alle Beteiligten. Khalil Shkaki, ein
palästinenseischer Soziologe, der extensive Beobachtungen unter den
Flüchtlingen anstellte, schätzt, dass nur etwa 10% [der
Flüchtlinge], hauptsächlich ältere Leute, die Rückkehr nach Israel
wählen würden; solch eine Anzahl von Menschen (etwa 400 000) könnte
Israel leicht verkraften.
Mit
einem Ende der Besatzung und einem politischen Arrengement von
Gewinnern auf beiden Seiten [win – win] , das die grundlegenden
Bedürfnisse beider Völker befriedigen würde, könnten die
Palästinenser den vielleicht bedeutendsten Beitrag zu Frieden und
Stabilität im Nahen Osten leisten. So schwach sie sind, besitzen die
Palästinenser eine Quelle kolossaler Kraft, eine kritische
Trumpfkarte: Sie sind die Torwächter zum Nahen Osten. Denn der
Palästina-Konflikt hat sinnbildlichen Stellenwert in der
muslimischen Welt. Vom muslimischen Standpunkt aus ist er die
Verdichtung des "Kampfes der Kulturen". In dem Moment, in dem die
Palästinenser der weiteren arabischen islamischen Welt
signalisieren, dass eine für sie annehmbare Beilegung des Konflikts
erreicht wurde, und dass nun die Zeit gekommen ist, die Beziehung zu
Israel zu normalisieren, wird dies den Einfluss von
Fundamentalismus, Militarismus und Reaktion signifikant einschränken
und den fortschrittlichen Stimmen, die heute – auch in Israel –
nicht gehört werden, Raum zur Entfaltung geben. Israel müsste
natürlich auch das Problem Golanhöhen lösen, worum Syrien es seit
Jahren gebeten hat. Trotz gegenteiliger neokonservativer Rethorik
weiß jeder, der den Nahen Osten kennt, dass solch eine Dynamik nicht
nur möglich ist, sondern auch überraschend schnelle Fortschritte
machen würde.
Das
Problem ist Israel, sowohl in seiner vorstaatlichen Form als auch
als Staat, das sich in den vergangenen 100 Jahren standhaft
geweigert hat, die nationale Existenz und das Selbsbestimmungsrecht
des palästinensischen Vokes anzuerkennen. Immer wieder hat es "Nein"
gesagt zu jeder Gelegenheit, einen wahren Frieden zu erringen, und
dies in deutliche Worten. Das jüngste Beispiel ist der
Konvergenz-Plan (Revision der Grenzen) von Ehud Olmert, der den
Konflikt endgültig beenden will indem er einem "souveränen"
palästinensischen Pseudo-Staat israelische Kontrolle auferlegt.
"Israel wird die Kontrolle über die Sicherheitszonen, die jüdischen
Siedlungsblöcke und diejenigen Orte behalten, die für das jüdische
Volks von herrausragender Wichtigkeit sind, vor allem ein
vereinigtes Jerusalem unter israelischer Souveränität", erklärte
Olmert auf der Herzliya-Konferenz im Januar 2006. "Wir werden nicht
gestatten, dass palästinensische Flüchtlinge den Staat Israel
betreten." Olmerts Plan, den er umsetzen wollte, sobald er mit
Hisbollah und Hamas fertig ist, hätte die israelische Kontrolle über
die besetzten Gebiete für immer festgelegt. Er hätte die Entstehung
eines lebensfähigen palästinensichen Staates endgültig unmöglich
gemacht. Während die "Sperranlage", Israels demographische Grenze im
Osten, nur 10-15% des Westbank-Gebiets wegnimmt, verleibt sie die
Haupt-Siedlungsblöcke Israel ein, zerschneidet die Westbank in
kleine,unzusammenhängende "Kantone" (Scharons eigene Worte), und
beraubt die Palästinenser ihrer fruchtbarsten Anbaugebiete und einer
der wichtigsten Wasserquellen. In der gesamten Mitte der Westbank
schafft sie ein "größeres" israelisches Jerusalem, womit sie jedem
möglichen palästinensischen Staat das ökonomische, kulturelle,
religiöse und historische Herzstück herausschneidet. So werden die
Palästinenser also zwischen der Mauer/Sperranlage und einer
weiteren "Sicherheits"-grenze, dem Jordantal, wie in einem
Sandwich eingeklemmt, was Israel zwei Ostgrenzen gibt. Israel
würde alle für einen lebensfähigen palästinensischen Staat wichtigen
Ressourcen weiterhin kontrollieren, und, um das Maß voll zu machen,
den palästinensischen Luftraum beherrschen, ebenso wie den
Kommunikationsraum und sogar das Recht eines palästinensischen
Staats, seine eigene Außenpolitik zu führen, kontrollieren.
Dieser
Plan ist offensichtlich für die Palästinenser unannehmbar – eine
Olmert wohl bekannte Tatsache – ,deshalb muss er, mit Hilfe der USA,
unilateral durchgezogen werden. Wen schert es? Wir haben es
abgelehnt, wirklich mit Arafat zu reden, abgelehnt, überhaupt mit
Abu Mazen zu sprechen, und boykottieren zur Zeit umfassend die
gewählte Hamas-Regierung, aus deren Umfeld wir Leute festnehmen und
umbringen. Und wenn's mit dem "Konvergenzplan" nicht klappt, naja -
den Status Quo aufrechterhalten und inzwischen weiter Siedlungen
bauen, war schon in den letzten vierzig Jahren erfolgreich und kann
unbegrenzt fortgesetzt werden. Es stimmt zwar, dass Israel zu
blinder, sinnloser Gewalt herabgesunken ist, - der Libanonkrieg
2006, und jetzt, da diese Zeilen niedergeschrieben werden, ein
zunehmend gewalttätiger Angriff auf den Gazastreifen. Aber die
israelische Öffentlichkeit hat Baraks Behauptung, es gäbe "keinen
Partner für den Frieden", akzeptiert. Wenn es also unter den Wählern
Unzufriedenheit geben sollte, dann ist es wahrscheinlicher, dass sie
die Linke "mit dem blutenden Herzen" fallen lassen und sich die
Rechten mit ihrer misslungenen Doktrin von auf Militär gestützter
Sicherheit holen.
Warum?
Wenn die Israelis wirklich und wahrhaftig Frieden und Sicherheit
wollen – wie Olmert neulich sagte: "das Recht, normal zu sein" –
warum haben sie dann nicht jede sich bietende Gelegenheit ergriffen
oder wenigstens geprüft, um diesen Konflikt zu lösen? Warum wählen
sie ununterbrochen Regierungen, die eine aggressive Siedlungspolitik
verfolgen und militärische Konfrontation mit den Palästinensern und
Israels Nachbarn suchen, auch wenn sie die schwere Last der
Besatzung gerne los wären? Wenn die meisten Israelis sich am
liebsten von den Palästinensern "trennen" würden, warum bieten sie
den Palästinensern dann so wenig an, dass diese selbst bei einer
Bereitschaft zu weitreichenden Konzessionen eine Trennung nicht als
Möglichkeit annehmen können? "Die Akten des israelischen
Außenministeriums", schreibt der israelisch-britische Historiker Avi
Shlaim in The Iron Wall (2001,S.49) "platzen aus den Nähten
mit Beweisen für das Ausstrecken der Fühler auf arabischer Seite in
Richtung Frieden und arabische Bereitschaft zu Verhandlungen mit
Israel seit September 1948." Im folgenden nur einige Beispiele von
gezielt verpassten Gelegenheiten:
-
Im Frühjahr und Sommer 1949
trafen sich Israel und die arabischen Staaten unter dem Schutz
des Palestine Conciliation Committee (PCC) in Lausanne in der
Schweiz. Israel wollte keinerlei territoriale Konzessionen
machen und auch nicht 100 000 der 700 000 Flüchtlinge wieder
aufnehmen, wie von den Arabern gefordert. Der israelische
Verhandlungsteilnehmer Elias Sasson berichtete, Ben Gurion habe
in einer Kabinettssitung bemerkt, die israelische Öffentlichkeit
sei "betrunken vom Sieg" und nicht in Stimmung für Konzessionen,
"maximale oder minimale".
-
1949 erklärte Syriens
Staatsoberhaupt Husni Zaim offen seine Bereitschaft, der erste
arabische Regierungschef zu sein, der einen Friedensvertrag mit
Israel abschließt – ebenso sei er bereit, die Hälfte der
palästinensischen Flüchtlinge in Syrien anzusiedeln. Er bot
wiederholt an, sich mit Ben Gurion zu treffen, der aber
standhaft ablehnte. Am Ende wurde nur ein
Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet.
-
König Abdullah von Jordanien
engagierte sich zwei Jahre lang für Verhandlungen mit Israel,
war aber nie in der Lage, vor seiner Ermordung einen bedeutenden
Durchbruch zu erreichen. Sein Angebot, sich mit Ben Gurion zu
treffen, wurde ebenso abgelehnt. Außenminister Moshe Sharet
kommentierte vielsagend: "Transjordanien sagte – wir sind sofort
zum Frieden bereit. Wir sagten – wir möchten natürlich auch
Frieden, aber wir können nicht rennen, wir müssen im
Schritttempo laufen." Drei Wochen bevor er ermordet wurde, sagte
König Abdullah "Ich könnte einen Frieden rechtfertigen, indem
ich Zugeständnisse der Juden vorweise. Aber ohne Zugeständnisse
von ihrer Seite bin ich gescheitert, bevor ich anfange."
-
1952-53 wurden extensive
Verhandlungen mit der syrischen Regierung Adib Shishaklis
geführt, einem pro-amerikanischen Regierungschef, der eine
Einigung mit Israel anstrebte. Diese Gespräche scheiterten, weil
Israel auf der alleinigen Kontrolle über den See Genezareth, den
Huleh-See und den Jordan bestand.
-
Nassers wiederholtes Angebot,
mit Ben Gurion Friedensgespräche zu starten, bald nach der
Revolution von 1952, endete schließlich mit der Ablehnung durch
Ben Gurions Nachfolger Moshe Sharet, den Prozess fortzusetzen,
und mit einem verheerenden israelischen Angriff (unter der
Leitung von Ariel Sharon) auf eine ägyptische Militärbasis in
Gaza.
-
Generell ist Israels
Nachkriegs-Inflexibilität seinem Erfolg im Aushandeln von
Waffenstillstandsabkommen zuzuschreiben, der es in einer
politisch, territorial und militärisch überlegenen Position
ließ. "Die erneute Kriegsbedrohung war erfolgreich abgewiesen
worden", schreibt der israelische Historiker Benni Morris in
seinem Buch Rihteous Victims. "Warum also sich anstrengen
für einen Frieden, der mit bedeutenden territorialen
Konzessionen einhergeht?" In einem Telegramm an Sharet umriss
Ben Gurion in einfachen Worten die israelische Politik für die
weitere Zukunft, wie sie im wesentlichen bis heute gilt: "Israel
wird keine Gespräche führen über einen Frieden, der mit
irgendwelchen territorialen Konzessionen verbunden ist. Die
Nachbarstaaten verdienen nicht eine Handbreit israelischen Boden
... Wir sind bereit für Frieden gegen Frieden." Im Juli 1949
sagte er einem amerikanischen Journalisten, der ihn besuchte:
"Ich habe es nicht eilig, ich kann zehn Jahre warten. Wir stehen
überhaupt nicht unter Druck." Nichtsdestoweniger tauchte in
dieser Periode das Bild der arabischen Führer als störrische
Feinde auf, das von Israel so bedacht gezeichnet wurde und
einen solch wirkungsvollen Teil im israelischen Gedankengebäude
darstellt. Morris (1999, p.268) fast dies kurz und bündig
zusammen:
Jahrzehnte lang belog Ben Gurion,
und ebenso taten dies nachfolgende Regierungen, die israelische
Öffentlichkeit über die Friedens-Bemühungen nach 1948 und über das
arabische Interesse an einem Übereinkommen. Die arabischen
Führungspersönlichkeiten (möglicherweise mit der Ausnahme von
Abdullah) wurden insgesamt als eine Ansammlung von störrischen
Kriegstreibern dargestellt, die auf Teufel-komm-raus Israels
Zerstörung im Sinn haben. Die Öffnung der israelischen Archive in
der jüngsten Zeit bietet ein sehr viel komplexeres Bild der Lage.
-
Ende 1965 lud der
Vizepräsident und Zweite Kommandeur der ägyptichen Armee, Abdel
Hakim Amer, den Leiter des Mossad, Meir Amit, nach Kairo ein.
Nachdem Isser Har'el, Eshkols Geheimdienst-Berater, entschieden
Einspruch dagegen einlegte, wurde der Besuch abgesagt. Hätte der
Krieg 1967 vermieden werden können? Wir werden es nie wissen.
-
Unmittelbar nach dem Krieg
1967 streckte Israel seine Fühler aus für eine Annäherung sowohl
mit den Palästinensern in der Westbank als auch mit Jordanien.
Die Palästinenser waren bereit, Friedensgespräche aufzunehmen,
aber nur, wenn sie Aussicht auf einen unabhängigen
palästinensischen Staat hätten, eine Möglichkeit, die Israel nie
auch nur in Erwägung zog. Die Jordanier waren ebenso bereit,
aber nur, wenn sie die volle Kontrolle über die Westbank, und
besonders über Ostjerusalem und die heiligen Stätten erhielten.
König Hussein traf sich sogar mit israelischen
Regierungsbeamten, doch Israels Ablehnung, eine vollständige
Rückgabe der [besetzten] Gebiete zu erwägen, brach den Prozess
ab. Die Annektierung des Gebiets für ein "größeres" Jerusalem
und das unmittelbar begonnene Programm der Errichtung von
Siedlungen schloss von vorneherein jede Chance für einen
umfassenden Frieden aus.
-
1971 sandte Sadat einen Brief
an die Jarring-Komission der Vereinten Nationen, in dem er
Ägyptens Bereitschaft ausdrückte, ein Friedensabkommen mit
Israel abzuschließen. Israels Zustimmung hätte den Krieg 1973
verhindern können. Nach dem Krieg lehnte Golda Meir Sadats
erneute Angebote zu Friedensgesprächen in Bausch und Bogen ab.
-
Israel ignorierte Anfang der
70er Jahre zahlreiche ausgestreckte Fühler Arafats und anderer
palästinensischer Führungspersönlichkeiten, die mehrfach die
Bereitschaft zeigten, mit Israel über Frieden zu sprechen.
-
Sadats Versuche 1978, die
Palästinenserfrage als Teil des israelisch-ägyptischen
Friedensprozesses zu lösen, wurden von Begin abgewiesen, der
sich weigerte, alles, was weiter ginge als eine palästinensische
"Autonomie", in Betracht zu ziehen.
-
1988, in Algier, erkannte die
PLO in der palästinensischen Unabhängigkeitserklärung Israel
innerhalb der 'Grünen Linie' an und erklärte ihre Bereitschaft,
Gespräche aufzunehmen.
-
1993, zu Beginn des
Oslo-Prozesses, bestätigten Arafat und die PLO schriftlich ihre
Anerkennung Israels innerhalb der Grenzen von 1967 (nochmals:
dies sind 78% des historischen Palästina). Obwohl sie Israel als
"legitimen" Staat im Nahen Osten anerkannten, erwiderte Israel
nicht entsprechend. Die Regierung Rabin erkannte nicht das
nationale Recht der Palästinenser auf Selbsbestimmung an, sie
war lediglich bereit, die Palästinenser als Verhandlungspartner
anzuerkennen. Weder in Oslo noch in der Folgezeit war Israel je
bereit, zugunsten eines palästinensischen Staates auf die 1967
besetzten Gebiete zu verzichten, obwohl dies die Position der
UNO (Resolution 242), der internationalen Gemeinschaft
(inklusive USA, vor Bush) und, seit 1988, der Palästinenser ist.
-
Die vielleicht größte aller
vergeudeten Gelegenheiten war die Verunmöglichung eines
lebensfähigen palästinensischen Staates durch die Reihe der
Likud- und Labour- Regierungen, die während der sieben Jahre
des Oslo- "Friedens-Prozesses" (1993-2000) die Bevölkerung in
den Siedlungen verdoppelte und damit wirkungsvoll eine
Zwei-Staaten-Lösung eliminierten.
-
Ende 1995 präsentierte Jossi
Beilin, einer der führenden Mitglieder des Verhandlungsteams in
Oslo, Rabin das "Stockholm-Dokument", (das mit Abu Mazens Team
ausgehandelt worden war), um den Konflikt zu lösen. Die darin
aufgezeichneten Übereinkünfte waren so vielverprechend, dass Abu
Mazen Tränen in den Augen hatte, als er das Schriftstück
unterzeichnete. Rabin wurde ein paar Tage später erschossen und
sein Nachfolger Shimon Peres lehnte das Dokument umgehend ab.
-
Die syrische Bereitschaft zu
Friedensverhandlungen unter der Bedingung von Konzessionen bei
den besezten Golan-Höhen wurde bis zum heutigen Tag von Israel
vielfach zurückgewiesen.
-
Sharons komplette Missachtung
des Angebots einer Anerkennung Israels durch die Arabische Liga
2002, inklusive des Angebots von Frieden und regionaler
Integration im Austausch für ein Beenden der Besatzung.
-
Sharons Disqualifizierung
Arafats, des bei weitem kooperativsten Verhandlungspartners, den
Israel je hatte, und der letzten palästinensischen
Führungspersönlichkeit, die noch "liefern" konnte "wie
bestellt", und der darauf folgende Boykott Abu Mazens.
-
Olmert erklärte das
"Gefangenen-Dokument", in dem alle palästinensischen Fraktionen
einschließlich Hamas ein politisches Programm mit dem Ziel einer
Zwei-Staaten-Lösung beschlossen haben, als "irrelevant". In der
Folgezeit versuchte er mit Gewalt, die demokratisch gewählte
Regierung der Hamas zu zerstören; dies geschieht bis heute.
-
Im September und Oktober 2006
machte der syrische Präsident Bashar Assad wiederholt
Friedensangebote an Israel. Er erklärte öffentlich: "Ich bin
sofort bereit, mit Israel Frieden zu schließen, mit dem wir in
Frieden leben wollen." Am Tag der ersten Erklärung Assads in
dieser Richtung verkündete Premierminister Olmert: "Wir werden
die Golanhöhen niemals verlassen"; er beschuldigte Syrien,
"Terroristen zu beherbergen", und erklärt gemeinsam mit seiner
Außenministerin Zipi Livni: "Die Zeit ist nicht reif für einen
Frieden mit Syrien."
Hinzuzufügen
wären hier all die unnötigen Kriege, kleineren Konflikte und die
blutigen Angriffe, die hauptsächlich dazu dienten, Israels
Ausgangsposition für sein Vorhaben, die Kontrolle über das gesamte
Gebiet westlich des Jordans auszuweiten, direkt oder indirekt
bequemer zu machen: Das systematische Töten von 3000-5000
"Infiltrierten" in den Jahren 1948-1956, palästinensischer
Flüchtlinge, zum Großteil unbewaffnet, die nur versucht hatten, nach
Hause zurückzukehren, ihre Felder zu bestellen oder verlorene
Besitztümer einzusammeln; der Krieg von 1956, der teilweise
stattfand, um das Wiederauftauchen des "Palästina-Problems" auf der
internationalen Agenda zu verhindern, wie auch, um Israel
militärisch, territorial und diplomatisch zu stärken;
Militäroperationen gegen palästinensische Zivilisten, beginnend mit
den infamen Tötungen in Sharafat, Beit Jala und, der berüchtigste
Fall, in Quibia, ausgeführt von Sharons 101. Einheit. Solche
Operationen werden in den besetzten Gebieten und im Libanon bis
heute fortgesetzt, hauptsächlich als Kollektivstrafe und zur
"Befriedung". Hierzu zählen noch weitere, jahrzehnte zurückliegende
Operationen von systematischer Liquidierung wichtiger
palästinensicher Führungspersönlichkeiten; drei Kriege im Libanon
(die Operation Litani 1978, Operation Frieden für Galiläa 1982 und
der Krieg von 2006) und viele mehr.
Hinter
all diesen Militäraktionen, seien es nun große Kriege oder "gezielte
Tötungen" steht die beständige standhafte Weigerung Israels
(tatsächlich reicht sie zurück bis in die vor-zionistischen 1880er
Jahre), sich direkt und ernsthaft mit den Palästinensern zu
beschäftigen. Israels Strategie besteht bis heute darin, sie zu
umgehen und zu umkreisen, mit Regierungen zu verhandeln, die sie
isolieren, und – bisher allerdings erfolglos – als Mitspieler zu
neutralisieren. Das wurde sehr deutlich in den Madrid-Gesprächen
sichtbar, als Israel eine palästinensische Beteiligung nur als Teil
einer jordanischen Delegation gestattete. Aber auch beim Oslo -
"Friedensprozess" wird es sichtbar. Während Israel auf einem Brief
Arafats bestand, in dem er explicit Israel als "legitimes Konstrukt"
im Nahen Osten anerkannte, später dann eine Anerkennung Israels als
jüdischer Staat forderte (beides hat es bekommen), hat keine
israelische Regierung je das kollektive Recht des palästinensischen
Volkes auf Selbstbestimmung anerkannt. Rabin benannte geradeheraus
den Grund: Wenn Israel das Recht der Palästinenser auf
Selbstbestimmung anerkennt, heißt das, dass definitiv ein
palästinensischer Staat entstehen muss – und das wollte Israel nicht
versprechen (Savir 1998,p.47). Und so hat Israel, abgesehen von
vagen Erklärungen, nicht über ein anderes Volk herrschen zu wollen
und über die "zum Frieden ausgestreckte Hand", nie einen Rahmen für
ernsthafte Verhandlungen zustande kommen lassen. Man muss mit den
Palästinensern rechnen, man muss ihre Reaktion zu dem einen oder
anderen unserer Vorschläge einholen, aber sie sind sicherlich kein
gleichwertiger Partner mit Ansprüchen auf das Land, die den unseren
in die Quere kommen könnten. Israels heftige Reaktion auf den
Ausbruch der zweiten Intifada, als es mehr als eine Million
Geschosse, inklusive Raketen, auf zivile Zentren in Westbank und
Gazastreifen schoss, obwohl in den ersten fünf Tagen dieser Intifada
von palästinensischer Seite kein einziger Schuss gefallen war, kann
nur als Strafe für die Ablehnung dessen erklärt werden, was Barak
versucht hatte den Palästinensern in Camp David aufzunötigen, wobei
sie endgültig die Illusion, sie könnten gleichberechtigt über die
Zukunft "unseres" Landes entscheiden, als Illusion erkennen mussten.
Wir werden sie schlagen, pflegte Sharon häufig zu sagen, "bis sie
die Botschaft kapiert haben". Und was ist die "Botschaft" ? Dass
dies unser Land ist und nur wir israelischen Juden das Recht haben
zu entscheiden, ob und wie wir es teilen.
Ungezwungenes
Konflikt-Management
Die Irrelevanz
der Palästinenser für israelische Politiker ist nur ein lokaler
Ausdruck der umfassenden Anmaßung, die die israelische Politik
Arabern gegenüber seit der Staatsgründung bestimmt. Israel, so haben
Premierminister von Ben Gurion bis Olmert versichert, ist einfach zu
stark, um von den Arabern ignoriert zu werden. Deshalb können wir
nicht voreilig Frieden schließen. Wenn wir einmal alles erreicht
haben , was wir wollen, werden die Araber immer noch bereit sein,
Frieden mit uns zu suchen. Die Erklärung des scheinbaren
Widerspruchs zwischen der Behauptung Israels, es wolle Frieden und
Sicherheit, und seiner tatsächlich ausgeführten Politik von Konflikt
und Expansion hat also vier Teile.
(1)Territorium und Friede durch die Trumpfkarte Hegemonie. Wie Ben Gurion vor Jahren erklärte, haben Israels geo-politische
Ziele Vorrang vor dem Frieden mit irgendeinem arabischen Land.
Nachdem ein Zustand des Nicht-Konflikts sogar besser ist als Friede
(Israel steht in solch einem Verhältnis mit Syrien, mit dem es seit
34 Jahren nicht gekämpft hat, und ist daher in der Lage, mit einem
Frieden einhergehende Kompromisse, die seine Besetzung der
Golanhöhen gefährden könnte, zu umgehen.), schließt Israel "Frieden"
nur mit Ländern, die in seine Expansionsagenda einwilligen.
Jordanien gab alle Ansprüche auf die Westbank und Ostjerusalem auf
und hat sogar aufgehört, aktiv für palästinensische Rechte
einzutreten. Der Friede mit Ägypten hat Israel zwar die
Sinai-Halbinsel gekostet, hat seine Besatzung von Gazastreifen und
Westbank aber unberührt gelassen. Die Unterscheidung zwischen
solchen Teilen der arabischen Welt, mit denen es wirklich ein
Friedensabkommen will, solchen, mit denen es nur einen Zustand des
Nicht-Konflikt braucht, und solchen, die es glaubt kontrollieren,
isolieren und besiegen zu können, schafft eine Situation von großer
Flexibilität und gestattet es Israel, mit Zuckerbrot und Peitsche zu
arbeiten, je nach Tagesordnung zum betreffenden Zeitpunkt.
Israel kann diese Strategie heute nur verfolgen, weil
es politisch, militärisch und finanziell unter dem Schutz der USA
steht. Dieser Schutz hat einige Wurzeln, darunter den Einfluss der
organisierten jüdischen Gemeinden und der fundamentalistischen
Christen auf die Innenpolitik und offensichtlich auf den Kongress.
Doppelt parteiische und unangreifbare Unterstützung für Israel
ergibt sich aber aus der Stellung Israels in der amerikanischen
Waffenindustrie und zur US-Verteidigungs-Diplomatie. Seit Mitte der
1990er Jahre hat sich Israel auf die Entwicklung von
High-Tech-Komponenten für Waffensysteme spezialisiert; auf diese
Weise hat es eine zentrale Position in der weltweiten Waffen- und
Sicherheits-Industrie erreicht. Man könnte Israels Unterdrückung der
Intifadas, seine versuchte Befriedung der besetzeten Gebiete und
gelegentliche Kämpfe mit Hisbollah oder ähnlichen als wertvolle
Gelegenheiten mit fast laboratorischen Bedingungen betrachten, um
brauchbare Techniken und Waffen zu entwickeln. Das hat es für den
Westen extrem wertvoll gemacht. Tatsächlich gehört Israel zu den
fünf größten Waffenexporteuren der Welt und wird wahrscheinlich in
ein paar Jahren Russland als Nr.2 ablösen (siehe Jane's
assessment, 2.Mai 2006). Die Tatsache, dass es diskrete
militärische Verbindungen mit vielen muslimischen Ländern,
einschließlich des Iran, hat, gibt der richtungsgebenden Annahme,
ein separater Friede mit arabischen Ländern sei erreichbar ohne
wesentliche Zugeständnisse an die Palästinenser, nochmals einen
Anstrich von Vernünftigkeit. Sollte irgend ein Staat die israelische
Position wirklich in Frage stellen, kann Israel als Hüter
amerikanischer Militärprogramme, bis zu einem gewissen Grad sogar
der amerikanischen Verteidigungsindustrie und damit wichtigster
Quellen von High-Tech-Forschung und -Entwicklung, auftreten, eine
ausgesprochen Furcht erregende Position.
(2) Eine
militärisch definierte Sicherheits-Doktrin
Israels Konzept von "Sicherheit" war immer so
überzogen, dass es für die Palästinenser keinerlei Luft zum Atmen
ließ und so jede durchführbare Lösung des Konflikts ausschaltete.
Das spiegelt natürlich Israels traditionelles Vertrauen auf
überwältigende militärische Überlegenheit über die Araber wider (was
die "Qualität" betrifft). Sie wird als so überwältigend
wahrgenommen, – trotz der Beinah-Katastrophe des Krieges 1973, der
Unfähigkeit, die besetzten Gebiete zu befrieden und in jüngster
Zeit, des Versagens gegen die Hisbollah im Libanon – dass Israel die
Notwendigkeit von Entgegenkommen und ernsthaften Verhandlungen von
vorne herein ausschließt, ganz zu schweigen von bedeutenden
Zugeständnissen an die Palästinenser. Einige israelische
Wissenschaftler, einschließlich ehemaliger Militärs, haben über das
militärische Übergewicht beim Formulieren der Regierungspolitik
geschrieben. Ben Gurions Konzept der Verbindung einer Nation im
Aufbau mit einer Nation in Waffen, so schreibt Yigal Levy (in seiner
Besprechung von Yoram Peris letztem Buch Generals in the Cabinet
Room; How the Military Shapes Israely Policy), machte die
Armee zum Instrument für den Erhalt einer Sozialordnung, die sich
auf Krieg als permanente Größe stützt.
Die zentrale Stellung der Armee
rührt von der zentralen Stellung des Krieges her... In dem Moment
aber, in dem die politische Führung sich entschied, eine
'mobilisierte', disziplinierte und ungerechte Gesellschaft zu
schaffen, indem sie die Armee zum 'Architekten der Nation' und den
Krieg zur Konstante machte, wurden die Politiker abhängig von der
Armee. Es war nicht nur eine Abhängigkeit von der Armee als
Organisation, sondern vom militärischen Denken. Die militärische
Sichtweise politischer Wirklichkeit wurde zum Hauptangelpunkt
israelischen politischen Handelns, vom Sieg Ben Gurions und seiner
Verbündeten über Moshe Sharets eher versöhnliche Politik der 1950er
Jahre, zur Besatzung als alltägliche Tatsache seit den 1960ern, und
zur gegenwärtigen Bevorzugung eines weiteren Krieges im Libanon
gegenüber der politischen Option. (Ha'aretz, 25.August 2006)
Zeev Maoz
argumentiert in seinem Artikel 'Israel's Nonstrategie of Peace':
Israel hat eine stark entwickelte
Sicherheits-Doktrin, [aber] es hat keine Friedenspolitik...Israels
Gechichte vom Frieden-machen ist von Reaktion geprägt, sie zeigt ein
Muster von Zögerlichkeit, Vermeiden von Risiken, Stückwerk, das in
starkem Kontrast steht zu seiner provokativen wagemutigen und
schussbereiten strategischen Doktrin... Im Wesentlichen ist das
Militär die einzige Regierungsorganisation, die in Krisenzeiten
politische Optionen bietet – typischerweise militärische Pläne.
Israels Außenministerium und diplomatisches Corps sind reduziert auf
die Funktion einer Werbeagentur, die erklärt, warum Israel in
Krisensituationen mit Gewalt anstatt mit Diplomatie handelt. (Tikkun
21 (5), September 2006, p.49-50)
Nochmals, diese
Vorgehensweise im Umgang mit Arabern geschieht nicht erst seit
gestern: Sie ist während der gesamten Geschichte des Zionismus zu
finden und war die dominante Art, zu handeln in der Führung des
Yishuv ['Niederlassung', hier vor der Staatsgründung] bzw. Israels
seit der Zeit der arabischen "Unruhen" und der Teilungsempfehlungen
der Peel-Komission 1937 bis zum heutigen Tag, mit wenigen sehr
kurzen Unterbrechungen: Sharett (1954-55), Levi Eshkol (1963-69),
und, vielleicht Rabin in seiner Oslo-Phase (1992-95). Sharett nannte
es das Lager der militärischen "Aktivisten" und beschrieb es 1957
wie folgt:
Die Aktivisten glauben, dass die
Araber nur die Sprache der Gewalt verstehen... Der Staat Israel muss
von Zeit zu Zeit klar beweisen, dass er stark ist und bereit, Gewalt
anzuwenden, zerstörererisch und äußerst wirkungsvoll. Wenn er das
nicht beweist, wird er verschluckt, und vielleicht ganz vom
Angesicht der Erde verschwinden. Was den Frieden anbelangt – so
besagt diese Auffassung – ist er auf jeden Fall zweifelhaft, auf
jeden Fall weit entfernt. Wenn der Friede kommt, dann kommt er nur,
wenn [die Araber] überzeugt sind, dass dieses Land unschlagbar
ist... Wenn [Vergeltungs]-Schläge.. Wellen von Hass wiederaufflammen
lassen, ist dies kein Grund zur Sorge, denn dieser Hass wird in
jedem Fall geschürt. (Morris, 1999,p.280)
Mit dem
Gefühl, seine Sicherheit sei durch militärische Macht garantiert und
ein separater Friede (oder Nicht-Konflikt-Status) mit den einzelnen
arabischen Staaten reiche aus, erlaubt sich Israel ein erweitertes "Sicherheits"-Konzept,
das ein verhandeltes Abkommen ausschließt. Damit definiert Israel
den Konflikt mit den Palästinensern ebenso wie die USA ihren Krieg
gegen den Terror. Als einen Sie-oder-Wir-Vergleich, in dem "sie"
grundlegend, unabänderlich und für alle Ewigkeit unsere Feinde sind.
Es ist nicht länger ein politicher Konflikt, und damit ist er
unlösbar. Israels Sicherheit kann dieser Auffassung nach nur
militärisch gesichert werden, oder wenn jeder einzelne von "ihnen"
entweder tot, im Gefängnis, aus dem Lande vertrieben oder in einer
versiegelten Enklave eingesperrt ist. Deshalb haben sich vernünftige
Versuche, den Konflikt zu lösen, basierend auf Interessen beider
Seiten, in denen Ursachen des Konflikts identifiziert und Lösungen
verhandelt werden, in all den Jahren als vergeblich erwiesen.
Stattdessen bleibt man verwurzelt im kompromisslosen Projekt, im
ganzen Lande Israel einen rein jüdischen Raum zu schaffen, mit
eingeschlossenen Inseln von Palästinensern. Sogar Israels glühendste
Unterstützer – organisierte jüdische Organisationen zum Beispiel –
haben das nicht verstanden, (christliche Fundamentalisten und
Neokonservative verstehen es, und es gefällt ihnen ausgezeichnet).
Die Behauptung dieser "pro Israel" – Unterstützer und freilich auch
Israels selbst, Israel habe immer nach Frieden getrachtet und sei
von arabischer Unnachgiebigkeit schroff abgewiesen worden, stellt
die Sache genau umgekehrt dar. Nochmals: Israel strebt Herrschaft
und regionale Vormachtstellung an, die nur unilateral erreicht
werden können; Verhandlungen erweisen sich damit als überflüssig und
irrelevant. Wie die zionistische Ideologie selbst ist Israels
Sicherheits-Doktrin in sich geschlossen, ein geschlossener Kreis.
Deshalb scheiterten während all der Jahre Bemühungen um Frieden,
israelische wie solche aus dem Ausland, jämmerlich. Wenn die Annahme
– von Israel ermutigt – stimmt, dass der Konflikt mit diplomatischen
Mitteln gelöst werden kann, dann kann Israel mit Recht beschuldigt
werden, nicht ehrlich gewesen zu sein. Israel und seine
Gesprächspartner reden im Wesentlichen aneinander vorbei.
Die
Prominenz (man ist versucht zu sagen "die Monopolstellung") des
Militärs im Bestimmen politischer Verfahrensweisen erklärt das
Mysterium, warum die Labour-Partei nach der Ben-Gurion-Ära
territoriale Expansion dem Frieden vorgezogen hat. Uri Savir, Leiter
des israelischen Außenministeriums unter Rabin und Peres und
Chef-Verhandler im Oslo-Prozess, läßt einiges von dieser Dynamik in
seinem Buch The Process (1998,p.81, p.99, pp.207-208)
erahnen. Nachdem die Grundsatzerklärung zwischen Israel und den
Palästinensern im September 1993 auf der Wiese vor dem Weißen Haus
unterzeichnet worden war,
wählte Rabin ein neues
Verhandlungsteam aus. Unter der Führung von Deputy Chief of Staff
General Amnon Shahak bestand es hauptsächlich aus Offizieren des
Militärs. Als das Militär sich bitter beschwert hatte, es wäre von
den Oslo-Gesprächen ausgeschlossen gewesen, hatte Rabin... die
Kritik nicht zurückgewiesen... Dass Israels Herangehensweise
unweigerlich von der Armee diktiert werden sollte, machte
unmittelbare Sicherheitserwägungen zur vorherrschenden
Betrachtungsweise, sodass grundlegende politische Prozesse
kurzfristigen militärischen Bedürfnissen untergeordnet wurden.
In Granada hatte Rabin Arafat
sorgfältig Israels Position bezüglich der Sicherheit erklärt,
besonders der äußeren Sicherheit an den Grenzübergängen.
"Mr.Chairman, ich werde Ihnen geradewegs die Wahrheit sagen, ohne
Bechönigung", sagte er, ... "Wir werden bei der Ausübung der
Kontrolle der Grenzübergänge (nach Jordanien und Ägypten) keine
Kompromisse eingehen. Wir machen uns Sorgen um den Waffenschmuggel.
Mit zehn Pistolen kann es viele Opfer geben", betonte er. "Das ist
für unsere Sicherheit unabdingbar."
Arafat, der diese gradlinigen Worte
in die Vorstellung eines von allen Seiten eingesperrten Palästina
übersetzte, antwortete: "Ich kann nicht um ein Bantustan
verhandeln..."
Am Ende setzte sich die israelische
Sicherheits-Doktrin allgemein durch. Hätte ein Eingehen auf Arafats
Forderung nach mehr Macht und Verantwortung Israels
Sicherheitssituation verbessert? Die Wahrheit ist, wir werden's nie
wissen....
Nun wurden die [israelischen]
Bürokraten und die Offiziere, die die Palästinenser regierten,
aufgefordert, ihre Macht an ihre "Schützlinge" weiterzugeben...
Manche dieser Administratoren fanden es fast unerträglich, sich in
Eilat mit Vertretern ihrer "Untertanen" an einen Tisch zu setzen.
Wir waren so lange mit Dehumanisierung beschäftigt gewesen, dass wir
uns wirklich für "gleicher" hielten – und gleichzeitig für die
Bedrohten, und deshalb für gerechtfertigterweise zögerlich. Die
Gruppe, die die Übergabe ziviler Befugnisse verhandelte, rebellierte
nicht gegen ihren Auftrag, aber immer, wenn wir ein Zugeständnis
oder einen Kompromiss anboten, neigten unsere Leute zu den
einleitenden Worten: "Wir haben beschlossen, Ihnen zu gestatten..."
"Sicherheit"
wurde mit dem Aufsteigen von Soldaten und Sicherheitsberatern des
Rechten Flügels in die gehobenen Positionen des militärischen und
politischen Establishments während der Regierungsjahre des Likud
immer einengender. Vierzehn der ersten Chiefs of Staff hatten
Verbindung mit der Labour-Partei; die letzten drei – Shaul Mofaz,
Moshe Yaalon und Dan Halutz – kommen aus dem rechten Flügel des
Likud, einer Mischung aus Ideologie und Militarismus, die verstärkt
ein Sicherheitskonzept befürwortet, das, selbst wenn es aufrichtig
vertreten wird, den nötigen Raum für einen lebensfähigen
palästinensischen Staat nicht zulassen kann.
(3) Israel
als selbst erklärte Bastion des Westens im Nahen Osten.
Israels europäische Orientierung, einschließlich
einer Betrachtung der arabischen Welt als bloßes Hinterland, das für
Israel von geringem Wert ist, erklärt, warum Israel dem Streben nach
Frieden mit seinen Nachbarn nicht mehr Wert beimisst. Israel
betrachtet sich nicht als Teil des Nahen Ostens und hegt nicht den
geringsten Wunsch, sich in ihn zu integrieren. Wenn überhaupt, dann
betrachtet sich Israel als nahöstliche Variation von Singapur. Wie
Singapur sucht es korrekte Beziehungen mit dem Hinterland, sieht
sich aber als Service-Center für den Westen, mit dem es
wirtschaftliche und politische Verbindungen pflegt. (Hier wäre zu
bemerken, dass Israel die Armee von Singapur zu dem ausgebildet hat,
was sie heute ist: die stärkste militärische Kraft in Südostasien.)
Demzufolge fehlt Israel die grundlegende Motivation zu irgendeiner
Form von regionaler Integration, wie unschwer an seiner beiläufigen
Ablehnung der Initiative der Saudis 2002 erkennbar ist, die, mit
Unterstützung der arabischen Liga [in Beiruth], Israel Anerkennung,
Frieden und regionale Integration für ein Beenden der Besatzung bot.
Und schließlich,
(4) Die
unwichtigen Palästinenser. Israel glaubt,
es könne separaten Frieden mit einzelnen Ländern der arabischen und
muslimischen Welt schließen (und seine international umfassend
starke Position behalten), ohne die Palästineser zu erwähnen. -
Nicht mit den Völkern, das ist wahr; das würde bis zu einem gewissen
Grad Zugeständnisse an die Palästinenser "vor Ort" erfordern, und so
weit zu gehen ist Israel nicht bereit. In diesem Bewusstsein und
ohne großes Interesse sowohl am palästinensischen Volk als auch an
muslimischen Massen, ist Israel bereit, seinen
Frieden/Nicht-Konflikt-Status auf die Regierungen zu beschränken –
Ägypten, Jordanien, ein sich bildender Irak (obwohl Israel die
Kurden bewaffnet), die Golfstaaten, die Staaten Nordafrikas
(einschließlich Lybien), Pakistan, Indonesien und einige muslimische
afrikanische Staaten. Aus der Sicht der israelischen Führung, die
mit Wohlgefallen die politische Landschaft betrachtet, scheint die
Vorstellung, dass Israel zu stark ist, um ignoriert zu werden, sich
als wahr erwiesen zu haben.
Obwohl
es im Libanon ein paar harte Schläge einstecken musste, setzt Israel
weiterhin unvermindert auf den zentralen Platz, den es in der
amerikanischen Neocon-Agenda einnimmt, bei der Konsolidierung des
amerikanischen Imperiums; seine Schlüsselrolle in dem, was das
Pentagon den "langen Krieg" der Sicherung der amerikanischen
Vormachtstellung nennt, bleibt, trotz aufkommender Zweifel, ob
Israel "liefern" kann, erhalten. Ob die US-Politik "israelisiert"
wurde oder ob die "strategische Allianz" der beiden Länder nur auf
den gemeinsam wahrgenommenen Interessen und den Dienstleistungen,
die Israel den USA bieten kann, beruht, die Bush-Regierung hat
Israel einen Freiraum von Gelegenheiten eröffnet, den Israel
weidlich ausnützt. Trotz des libanesischen Rückschlags glaubt die
israelische Führung immer noch, sie könne "gewinnen", sie könne die
Palästinenser besiegen, die permanente Kontrolle über die besetzten
Gebiete organisieren und genügend Frieden mit genügend
Ländern der arabischen Welt erreichen. Das ist der Inhalt von
Olmerts "Konvergenzplan" (zur Zeit auf Eis gelegt) , und deshalb hat
er bechlossen, ihn noch während Bushs Amtszeit durchzuführen.
Israels Sicherheit liegt also in diesem weiten Bereich, der
definiert wird von Militärmacht, Dienstleistungen an das US-Militär,
der unkritischen Unterstützung durch den amerikanischen Kongress,
seiner Militärdiplomatie inklusive Waffenhandel, Israels zentraler
Rolle in der Agenda der Neocons, seiner Fähigkeit, europäische
Schuld am Holocost durch Gespräche in politische Unterstützung zu
verwandeln, seiner Fähigkeit, arabische und muslimische Regierungen
zu manipulieren, und seiner Fähigkeit, palästinensischen Widerstand
zu unterdrücken.
Was ist
also falsch an diesem Bild? Nichts. – Außer, man will wirklich
Frieden, Sicherheit, und das Recht, "normal zu sein"; außer, solche
Überlegungen wie Gerechtigkeit und Menschenrechte werden in die
Bewertung miteinbezogen. Vom Standpunkt der reinen Nützlichkeit aus
betrachtet ist Israel ein gewaltiger Erfolg. Das vielleicht
hoffnungsvollste Zeichen israelischer "Normalisierung" ist sein
Akzeptiert-Sein in weiten Teilen der arabischen und muslimischen
Welt, bestens veranschaulicht durch eben die saudische Initiative,
die Israel in toto ablehnte. Aber es zeigt auch haargenau, wo das
Problem liegt. Das saudi/arabische Angebot hatte das Beenden der
Besatzung zur Bedingung, und dazu war Israel nicht bereit. Wie zu
erwarten antwortete Israel auf das Angebot eher "vor Ort" als durch
diplomatische Kanäle. Sharon führte seinen "Entflechtungsplan" von
Gaza explicit um Israels permanenter unangreifbarer Herrschaft über
die Westbank und Ostjerusalem willen durch, während sein Nachfolger
Olmert energisch einen Plan vorantrieb, demzufolge die Besatzung in
einen permanenten Zustand israelischer Kontrolle übergeht. All das
stimmt mit der israelischen Politik seit Ben Gurion überein, die
besagt, wenn Israel seine Zielsetzung auf das Erreichen eines
modus vivendi mit der arabischen und muslimischen Welt
beschränkt anstatt einen ausgereiften Frieden zu suchen, kann es
seine Sicherheit wahren, während es die Kontrolle über das Gebiet
westlich des Jordans behält. Sicher werden hin und wieder
Ausrutscher vorkommen wie die in Gaza oder mit der Hisbollah im
Libanon. Israel könnte sogar aufgefordert werden, Amerikas
schmutzige Arbeit im Iran zu erledigen, so wie es seine (wenn auch
begrenzte) Rolle im Irak spielte. Solche Vorfälle können aber leicht
eingegrenzt werden (so dachte man jedenfalls vor dem Debakel im
Libanon), mit von Amerika bewerkstelligter Zusamenarbeit von Ägypten
und Jordanien als nötigem Polster.
Diese
israelische Realpolitik beruht auf einer extrem pragmatischen
Herangehensweise an den Konflikt, ähnlich dem, was die Briten
"muddling through", durchwursteln, nennen. Wenn es Israels Ziel
wäre, den Konflikt mit den Palästinensern zu lösen und ernsthaft
Frieden und regionale Integration anzustreben, hätte es sich leicht
eine Politik zu eigen machen können, mit der es, wahrscheinlich
schon lange, ein solches Ziel hätte erreichen können. Sein Ziel
heißt aber Konfliktmanagement, den "Status Quo" erhalten, und
nicht : Lösung des Konflikts. Das Durchwursteln eignet sich gut für
Israels Versuch, das Unausgewogene in der Balance zu halten:
territorial auf Kosten der Palästinenser zu expandieren, und
trotzdem ein annehmbares Maß von Sicherheit und "Ruhe im Land"
aufrechtzuerhalten. Es ermöglicht Israel, jede Herausforderung dann
zu bewältigen, wenn sie erscheint, und sich nicht auf eine Strategie
oder bestimmte Politik festzulegen, die unerwartete Entwicklungen
nicht berücksichtigen. Gestern haben wir's mit Oslo probiert; heute
schlagen wir Gaza und Libanon, morgen kommt die "Konvergenz".
Es mag
weder vernünftig noch ordentlich aussehen, aber Konfliktmanagement
heißt, mit der Strömung schwimmen, immer obenauf bleiben, wissen,
wohin man geht, und für alle Eventualitäten einen Plan in der Tasche
haben, jede sich bietende Lücke ausnützen und auf jeden Vorfall dann
reagieren, wenn er passiert. Nicht langfristige Strategie, sondern
eine Vision, im Laufe der Zeit in oftmals kaum wahrnehmbaren
Schritten in die Tat umgesetzt, möglichst unterhalb des Radars, um
weder Aufmerksamkeit noch Widerstand hervorzurufen, realisiert durch
kurzfristige Initiativen wie den Konvergenzplan, die fortschreitend
vollendeten Tatsachen "vor Ort" schaffen.
Wenn
diese Analyse stimmt, ist Israel eher bereit, sich mit "Ruhe im
Land" zufrieden zu geben, als mit wirklichem Frieden, lieber mit
Management des Konflikts als mit einer Lösung, lieber mit
Gebietszuwachs, der Spannungen und gelegentliche Konflikte in der
Region mit sich bringt, aber Israels wesentliche Sicherheit nicht
gefährdet. Die Erklärung des "Rechts auf Normalität" wird zum
Werbefeldzug, in dem der anderen Seite die Schuld zugewiesen und
Israel als Opfer dargestellt wird; es handelt sich hier nicht um
etwas, das die israelische Führung ernsthaft erwartet. Tatsächlich
basiert ihre Politik auf der Annahme, funktionelle Normalität – ein
annehmbares Ausmaß an "Ruhe im Land", eine einigermaßen florierende
Wirtschaft, eine meistens einigermaßen normale Existenz für eine
israelische Öffentlichkeit auf einer Insel – sei den
Zugeständnissen, die für einen ernsthaften, erreichbaren Frieden
nötig wären, vorzuziehen.
Was geschieht
mit der lädierten und erschöpften israelischen Öffentlichkeit?
Die
jüdisch-israelische Öffentlichkeit schluckt all das nur zum Teil.
Sie zöge wirklichen Frieden und Normalisierung einem Gebietszuwachs
in den besetzten Gebieten vor, möchte sich aber definitiv lieber von
der arabischen Welt trennen als regional integriert werden. Wenn
Israelis also lieber Frieden hätten als fortgesetzten Konflikt mit
den Palästinensern und den arabischen Nachbarn, warum wählen sie
dann Regierungen, die genau das Gegenteil tun, die
Konfliktmanagement und Gebietszuwachs einem Frieden vorziehen? Die
Mystifizierung des Konflikts durch die israelische Führung spielt
dabei eine große Rolle, genau wie in der Diskussion um den "Kampf
der Kulturen" in anderen westlichen Ländern. Da Israels Strategie,
ein gewisses Niveau von Konfliktduldung als den annehmbaren Preis
für territoriale Expansion zu betrachten, nicht toleriert würde,
wenn sie genau so dargestellt würde, haben die Regierungen von Ben
Gurion bis Olmert anstattdessen die Öffentlichkeit überzeugt, es
gäbe ganz einfach keine politische Lösung. Die Araber sind unsere
unnachgiebigen Feinde; wir israelischen Juden, die Opfer, haben
immer nur nach Frieden und normaler Existenz gestrebt, aber
vergebens. So ist es eben. Wie Yitzhak Shamir sich so farbenfroh
ausdrückte: "Die Araber bleiben die selben Araber, die Juden bleiben
die selben Juden, und das Meer", (in das die ersteren die letzteren
werfen wollen), "ist immer noch das selbe Meer." Israel hat die
Sichtweise eines Kampfes der Kulturen Jahre vor Samuel Huntigton für
sich entdeckt.
Diese
manipulative Darstellung des Konflikts gestaltet auch den Diskurs in
einer Weise, die die Öffentlichkeit davor bewahrt, "durchzusteigen".
Israels offizielles nationales Narrativ bietet eine zusamenhängende
zwingende Rechtfertigung für ein Handeln unsererseits nach
Gutdünken, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden –
tatsächlich macht es jegliche Kritik an uns zum "Antisemitismus".
Diese selbstverständliche Darstellung, die die Parameter aller
politischen, medialen und öffentlichen Diskussion festlegt, geht
ungefähr so:
Das Land Israel gehört
ausschließlich dem jüdischen Volk; Araber (der Begriff
"Palästinenser" wird selten benützt) wohnen hier aufgrund von
Duldung und nicht, weil sie ein Recht dszu hätten. Da das Problem
der unversöhnliche arabische Hass ist und die Palästinenser unsere
permanenten Feinde sind, gibt es für den Konflikt keine politische
Lösung. Israels Politik wird von Sorge um seine Sicherheit bestimmt.
Die Araber haben alle unsere vielen Friedensangebote zurückgewiesen;
wir sind das Opfer und kämpfen um unsere Existenz. Israel kann
deshalb für sein Handeln nicht nach internationalem Recht und den
Menschenrechtskonventionen zur Verantwortung gezogen werden.
Jede Lösung muss deshalb Israel die
Kontrolle über das gesamte Gebiet lassen. Ein palästinensischer
Staat muss demnach stark eingeschränkt, nicht-lebensfähig und
semi-souverän sein. Der Konflikt bietet somit eine
Gewinner-Verlierer – Situation: Entweder wir "gewinnen" oder "sie".
Die Antwort auf Israels Sicherheitsfragen ist ein militärisch
starkes Israel in Übereinstimmung mit den USA.
Eine der
krassesten Weglassungen in dieser Darstellung ist der Begriff
"Besatzung" selbst. Ohne ihn ist die Debatte reduziert darauf, was
"sie" uns antun, mit anderen Worten, auf scheinbar wie von selbst
verständliche Fragen von Sicherheit und Terrorismus. Es gibt keine
"Besetzten Gebiete" (Israel streitet tatsächlich offiziell ab, es
gäbe eine Besatzung), es gibt nur Judäa und Samaria, das Kernstück
unseres historischen Heimatlands, oder eben seltsamerweise
abgesonderte aber mit Sicherheit feindliche "Gebiete". So ignorieren
Israelis also vorsätzlich und mit Hingabe, was in den besetzten
Gebieten geschieht, ob es sich um die Ausweitung der Siedlungen
handelt und andere "vollendete Tatsachen" oder um
Regierungspolitik. Man kann in den israelischen Medien stundenlang
politische Talkshows und Kommentare verfolgen, ohne je von einer
Besatzung zu hören. Teilstücke bekommt man zu sehen: Vielleicht
Siedlungen, hin und wieder die Sperranlage (in Israel "Zaun"
genannt); fast nie Häuser-Zerstörungen oder eine Erwähnung des
massiven Systems von Autobahnen nur für Israelis, die die Westbank
unwiederbringlich Israels Kernland einverleiben, nie das ganze Bild.
Obwohl Olmerts Konvergenzplan, der für die Zukunft der Israelis von
grundlegender Wichtigkeit ist, auf dem Annektieren der großen
Siedlungsblöcke basiert, wird der Öffentlichkeit nie eine Karte
dieser Blöcke gezeigt, daher hat sie keine klare Vorstellung davon,
was hier eigentlich vorgeschlagen wird, oder von der Bedeutung
dieses Vorschlags für einen möglichen Frieden. So etwas wird aber
ohnehin als irrelevant betrachtet. Sollten Israelis gelgentlich doch
mit den massiven "vollendeten Tatsachen" konfrontiert sein,
beschwören sie den Mechanismus der Minimierung: Okay, heißt es dann,
wir wissen das alles, aber nichts ist unwiderruflich, der Zaun und
die Siedlungen können abgebaut werden, alle Optionen bleiben offen.
Auf diese Art und Weise müssen sie sich nicht mit der
Ungeheuerlichkeit dessen auseinandersetzen, was sie geschaffen
haben, ein System für zwei Völker, das, kann der Status Quo
nicht für immer aufrecht erhalten werden, nur zu einem bi-nationalen
Staat oder zur Apartheid führen kann, die die Palästinenser in ein
zerstückeltes Bantustan einsperrt. Während die offizielle
Erzählweise die öffentliche Aufmerksamkeit von den Ursachen des
Konflikts ablenkt, entbindet diese Minimierung die Israelis von der
Verantwortung, ihn zu verewigen oder zu lösen.
Die Art
und Weise der Darstellung wird so zu mehr als nur einer Übung in
Öffentlichkeitsarbeit. Sie wird zum wesentlichen Element der
Verteidigung beim Herauslösen des Kernstücks des Konflikts – der
Besatzung, der aktiv fortschreitenden Siedlungspolitik, die die
Behauptungen von "Sicherheit" und Israels Verantwortung als
Besatzungsmacht Lügen strafen – aus dem öffentlichen Blickfeld und
der öffentlichen Diskussion. Die Wahrung dieser Darstellung läuft
also auf die Verteidigung eben des Anspruchs Israels auf das Land
hinaus, und das ist genau die "moraliche Grundlage" des Zionismus,
die wir Israelis fortwährend beschwören. Kein Wunder, dass es
unmöglich ist, sogar liberale "pro-israelische" Individuen und
Organisationen in ein wirklich ernsthaftes Gespräch über die
anliegenden Probleme zu verwickeln.
Ein
Ergebnis solcher weitschweifigen Prozesse ist die Entmachtung der
israelischen Öffentlichkeit. Wenn es wirklich keine Lösung gibt,
kann man sich nur noch ducken und so viel Normalität wie möglich
rausholen. Für Israelis ist der gesamte Konflikt mit den Arabern zu
einem technischen Problem zusammengeschrumpft: Wie sichern wir
unsere persönliche Sicherheit? Nachdem Konfliktmanagement ein
gewisses Niveau von Gewaltanwendung voraussetzt, hat die
Öffentlichkeit eine Art Vereinbarung mit der Regierung getroffen:
Ihr haltet den Terrorismus in "annehmbaren" Grenzen, und wir fragen
nicht, wie ihr es tut. In gewissem Sinne gewährt die
Öffentlichkeit der Regierung hier erweiterten Kredit.
Wir fragen nicht wie ihr unsere perönliche Sicherheit
garantiert. Etabliert einen palästinensischen Staat in den besetzten
Gebieten, wenn ihr meint, das funktioniert; ladet die Araber auf
Lastwagen und bringt sie aus dem Land; baut eine Mauer, so hoch,
dass, wie jemand behauptete, selbst die Vögel nicht mehr drüber
fliegen können. Uns, der jüdisch israelischen Öffentlichkeit, ist es
egal, wie ihr es macht. Nur: tut es, wenn ihr wiedergewählt werden
wollt.
Das
erklärt den scheinbaren Widerspruch zwischen dem Willen der
Öffentlichkeit und der Politik der von ihr gewählten
Regierung. Das erklärt, wie Barak 1999 mit dem klaren Auftrag
gewählt wurde, den Konflikt zu beenden, und als er das verfehlte und
die Intifada ausbrach, die selbe Öffentlichkeit Anfang 2001 sein
gegensätzliches Spiegelbild, Ariel Sharon, wählte, den Architekten
der israelischen Siedlungspolitik, der Verhandlungen überhaupt
vermied. Israelis sind bereit, Frieden für Sicherheit zu opfern –
und sehen dabei nicht den Widerspruch – denn wahrer "Friede" ist ja
unerreichbar. Tatsächlich hat "Friede" bei den meisten Israelis
einen negativen politischen Beigeschmack. Er bedeutet
Zugeständnisse, Schwäche, erhöhte Verletzlichkeit. Israels
besonderes Wahlsystem, in dem der Wähler seine Stimme eher einer
Partei gibt als einem Kandidaten, und dafür sperrige,
handlungsunfähige Koalitionsregierungen bekommt, die nicht in der
Lage sind, kohärente Politik zu formulieren und zu verfolgen, trägt
noch zur Entmachtung der Öffentlichkeit bei, auch zu seinem
Unwillen, irgendeine Regierung mit dem Verhandeln eines endgültigen
Abkommens mit den Arabern zu beauftragen.
Da die
"Situation", wie wir in Israel sagen, zu einem technischen Problem
persönlicher Sicherheit ohne politische Lösung reduziert wurde, sind
die Israelis passiv geworden, bis zur Verantwortungslosigkeit. Sie
wurden aus der politischen Gleichung entfernt. Jeder Versuch, den
israelisch-palästinensischen Konflikt (und seine Folgerungen) zu
lösen, muss also von aussen kommen; die israelische Öffentlichkeit
wird sich einfach nicht von selbst in diese Richtung bewegen.
Während die Regierung sich einem solchen Einschreiten sicher
widersetzen wird, könnte die israelische Öffentlichkeit dies sogar
willkommen heißen – wenn es von einem Freund (den USA) angekündigt
wird, autoritär entschieden, mit wenig Spielraum zum Feilschen (wie
von Reagan beim Verkauf der AWACs-Überwachungsflugzeuge an
Sudi-Arabien Anfang der 1980er Jahre vorgeführt), und formuliert
als Maßnahme aus Sorge um Israels Sicherheit. Israelische Juden
könnt man mit den Weißen Südafrikas während der letzten Phase der
Apartheid vergleichen. Sie hatten sich an die Apartheid gewöhnt und
hätten von sich aus nicht daran gedacht, sie aufzugeben. Als aber
der internationale und der innere Druck unerträglich wurde und De
Klerk schließlich sagte: "Es ist vorbei", gab es keinen Aufstand,
auch nicht unter den Afrikaaners, die das Regime aufgebaut hatten.
Ich bin ernsthaft der Überzeugung, wenn Cowboy Bush eines Morgens
aufstünde und zu Israel sagte: "Wir lieben Euch, wir garantieren
Euch Sicherheit, aber die Besatzung muss enden, Punkt", könnte man
den Seufzer der Erleichterung der Israelis bis nach Washington
hören.
So wie
es aussieht, denkt die israelische Führung, wir gewinnen, die Leute
hier sind sich da nicht so sicher; aber sie sind zu desinformiert
und eingeschüchtert von Bedrohungen der Sicherheit (wirklichen und
erfundenen), um tätig zu werden, und die Friedensbewegung ist
geschrumpft bis auf ein paar ausgegrenzte Rufer in der Wüste. Wenn
man die Unterstützung betrachtet, die Israel von den USA im Gegenzug
zu den Dienstleistungen an das Imperium erhält, dazu Europas
stillschweigende Beihilfe und die Isolierung der Palästinenser,
bleibt die Frage, ob Israels Strategie des Konflikt-Management nicht
in Wirklichkeit erfolgreich gewesen ist – wenn man Gerechtigkeit,
wirklichen Frieden und Menschenrechte beiseite lässt. Sagen Sie, was
Sie wollen, die Realisten können fast sechzig Jahre vorweisen, in
denen Israel zur regionalen, wenn nicht globalen Supermacht mit
festem Griff auf Groß-Israel geworden ist. Wenn es Olmert gelingt,
den Konvergenzplan durchzuführen, ist aus israelischer Sicht der
Konflikt mit den Palästinensern vorbei – und wir haben gewonnen.
Doch
unsere Militärmacht ist so überwältigend, so massiv und permanent
haben wir unsere kontrollierende Präsenz in den besetzten Gebieten
installiert, dass wir uns verhängnisvollerweise übernommen haben.
Ben Gurions Formel funktioniert. Wir haben alles, was wir wollen –
das gesamte Land Israel westlich des Jordans – und die arabischen
Regierungen haben um Frieden nachgesucht. Vier Elemente aber, die
Ben Gurion (oder Meir oder Peres, oder Netanyhu, Barak, Sharon,
Olmert und all die anderen) nicht in die Gleichung miteinbezogen
haben, sind aufgetaucht, um das Paradigma der Machtpolitik
grundsätzlich herauszufordern:
(1)
Demographisches. Israel hat nicht genügend
Juden, um seine Kontrolle über Groß-Israel beizubehalten. (Ob das
Kernland Israel "jüdisch" bleiben kann, ist noch eine andere Frage,
mit einer jüdischen Bevölkerug von unter 75%, wenn man die arabische
Bevölkerung miteinbezieht, die nicht-jüdischen Russen und die
Auswanderung.) Der Zionismus hat einen starken Staat geschaffen,
konnte aber die Juden nicht überzeugen, ihn zu besiedeln. Die
jüdische Bevölkerung in Israel macht weniger als ein Drittel der
jüdischen Bevölkerung weltweit aus; nur 1% der amerikanischen Juden
kamen auf Aliah (sind nach Israel eingewandert). Es ist
tatsächlich so, wann immer Juden die Wahl hatten – in Nordafrika,
der ehemaligen Sovjetunion, Irak, Iran, Südafrika und Argentinien,
ganz zu schweigen von den europäischen Ländern und Nordamerika –
haben sie es vorgezogen, nicht nach Israel zu kommen. Und es ist die
Demographie, die Olmerts Konvergenzplan vorantreibt. "Es ist nur
eine Frage der Zeit, bis die Palästinenser 'ein Mann,eine Stimme'
fordern. – Und was sollen wir dann tun?" fragte Olmert kläglich auf
der Herzliya-Konferenz 2004. Sein Plan behält die Kontrolle über
Israel und die besetzten Gebiete (er nennt es Judäa, Samaria und
Ost-Jerusalem), und macht mit den Palästinensern, die die Hälfte der
Bevölkerung insgesamt ausmachen, das einzig mögliche. – Er sperrt
sie in ein zertückeltes Bantustan auf unfruchtbaren 15-20% des
Landes.
(2)
Palästinenser. Israels historische
Politik, die Palästinenser zu ignorieren und zu umgehen, kann nicht
mehr funktionieren. Ungefähr die Hälfte der Bevölkerung westlich des
Jordans sind Palästinenser, - ein Gebiet, das Israel in seiner
Gesamtheit kontrollieren will, - und sie werden klar in der Mehrheit
sein, wenn eine bedeutendere Anzahl von Flüchtlingen ins
palästinensische Bantustan heimkehrt. Diese Bevölkerung unter
Kontrolle zu halten heißt, Israel muss immer repressiver vorgehen,
sei es, indem es, wie in jüngster Zeit gesetzlich festgelegt,
israelischen Arabern verbietet, ihre Ehepartner und Kinder aus den
besetzten Gebieten nach Israel zu holen, um dort zu leben, oder
indem es ein ganzes Vok hinter 8 Meter hohen Betonmauern einsperrt.
Trotz Olmerts Versicherung, Israelis hätten das Recht auf ein
normales Leben, kann Normalität nicht unilateral erreicht werden.
Weder Besatzung noch ein Bantustan, noch irgendeine andere Form der
Unterdrückung kann normalisiert oder zur Routine werden; immer wird
der Unterdrückte Widerstand leisten. So mächtig Israel ist, es ist
ihm nicht gelungen, die Palästinenser in den letzten 40 Jahren, den
Jahren der Besatzung, zu befrieden, oder in den 60 Jahren seit der
Naqba, oder in dem Jahrhundert seit die zionistische Bewegung die
alleinige Erbschaft Palästinas eingefordert hat und systematisch
damit begann, die einheimische Bevölkerung zu enteignen. Die
Palästinenser heute besitzen eine Waffe, die Israel nicht überwinden
kann, mit der es sich eines Tages auseinandersetzen muss, und das
ist ihre Position als Torwächter. Bis die Palästinenser der weiteren
arabischen, muslimischen und internationalen Gemeinschaft
signalisieren, sie hätten mit Israel eine zufriedenstellende
politische Übereinkunft getroffen, wird der Konflikt weitergehen und
Israel wird weder sein Ende noch Normalität erreichen.
(3) Die
arabischen/muslimischen Völker. Die Rolle
der Palästinenser als Torwächter spiegelt die wachsende Wichtigkeit
der Zivilgesellschaft als Mitspieler in politischen Dingen wieder.
Israels Missachtung der arabischen und muslimischen "Straße", sein
bauen auf den Friedensschluss nur mit Regierungen allein weist einen
groben Fehler in seiner Herangehensweise an den Konflikt auf: Seine
Unterschätzung der Macht des Volkes. Ansichten wie: "Frieden mit den
arabischen Völkern interessiert uns nicht; korrekte Beziehungen zu
ihren Regierungen genügen vollauf" lassen den zerbrechlichen
Zustand der arabischen Regierungen außer Acht, entstanden aus dem
Aufstieg des islamischen Fundamentalismus, der wiederum zu einem
beachtlichen Teil (wenn auch nicht ausschließlich) von der Besatzung
angeheizt wurde. Wenn Hisbollah die Kraft hat, solch eine
Instabilität zu schaffen, stelle man sich vor, was passiert, wenn
die Muslim-Bruderschaft in Ägypten die Macht ergreift. Die
einseitige Parteinahme amerikanischer und europäischer Politik zu
Israel heizt den "Kampf der Kulturen" nur an und verschärft ihn,
während Israels Besatzung wirkungsvoll das Hochkommen
fortschrittlicher Elemente in der arabischen und muslimischen Welt
verhindert. Die strategische Rolle der Palästinenser als Torwächter
hat eine bedeutsame Wirkung auf die Stabilität des gesamten
globalen Systems. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist nicht
mehr nur ein lokaler.
(4)
Internationale Zivilgesellschaft. Wie wir
gesehen haben, fühlt sich die israeliche Führung, wenn sie die
internationale politische Landschaft so betrachtet, wie es gewählte
Staatsbeamte tun, äußerst behaglich. Sie glauben daran, dass ihr
Land, mit der unkritischen und unbegrenzten amerikanischen
Unterstützung, diesen Konflikt mit den Palästinensern (und mit
Israels anderen Feinden, realen und eingebildeten) "gewinnt". Wie
politische Führer überall auf der Welt, rechnen sie nicht ernsthaft
mit "dem Volk". Das Volk aber – auch bekannt als internationale
Zivilgesellschaft – hat auch schon in einigen Fällen der Bekämpfung
von Ungerechtigkeit Erfolge zu verbuchen. Es hat die amerikanische
Regierung gezwungen, die Bürgerrechte schwarzer Menschen in den USA
durchzusetzen, und den Krieg in Vietnam aufzugeben. Es spielte eine
Hauptrolle unter anderem beim Zusammenbruch der Apartheid in
Südafrika, der Sowjetunion und des Shah-Regimes. Da Regierungen fast
nie das Richtige aus eigenem Antrieb tun, war es auch die
Zivilgeselschaft, die durch die neu geschaffenen Vereinten Nationen
Regierungen zwang, die universelle Erklärung der Menschenrechte, die
Genfer Koventionen und eine ganze Reihe von Menchenrechten und
internationalem Recht zu akzeptieren. Mit dem International Court of
Justice, dem International Criminal Court und anderen Instrumenten,
mit der sich in Sozial-Foren und anderen Formen von
Aktionsbündnissen organisierenden Zivilgesellschaft, wird es immer
weniger möglich, solche schweren Fälle von Unrecht wie die
israelische Besatzung aufrecht zu erhalten. So wie die Besatzung
ein Unrecht von der Größenordnung der Apartheid wird – ein Konflikt
mit globalen Folgen – kann Olmert zwar Bush und Blair zur
Untertützung seines Plans überreden, der Konflikt aber wird nicht
vorüber sein, bis die zwei Torwächter sagen, er ist beendet, nämlich
die Palästinenser und das Volk der Welt.
Der einzige
Ausweg: Israel zwingen, Verantwortung zu übernehmen
Israel hat nur
einen Ausweg: Es muss für seine Aktionen Verantwortung übernehmen.
Kein Beschuldigen mehr von Arafat, Hamas, oder den Arabern
überhaupt. Nicht mehr das Opfer mimen. Kein Leugnen der Besatzung
mehr und kein Verweigern der Rechte eines Volkes, das in diesem Land
genauso verwurzelt ist wie die Juden, wenn nicht mehr. Kein
Militäreinsatz mehr, um "unsere" Sicherheit zu garantieren. Keine
unilateralen Aktionen. Stattdessen muss Israel mit den
Palästinensern eine echte Zwei-Staaten-Lösung erarbeiten. Keine
Genfer Initiative, bei der die Palästinenser lebens-unfähige 22% des
Landes abbekommen; keine Konvergenz/Neuausrichtung der Grenzen/
Apartheid. Einfach ein Ende der Besatzung und ein Rückzug auf die
Grenzen vor 1967 (bei dem Israel immer noch 78% des Landes bekommt)
– oder, wenn eine gerechte realisierbare Zwei-Staaten-Lösung
tatsächlich für immer unter massiven israelischen Siedlungsblöcken
und Autobahnen begraben liegt, dann eine andere Lösung. Und eine
gerechte Lösung für die Flüchtlinge. Im Laufe der Zeit könnten die
Palästinenser – die größere Freunde Israels sind als je ein Israeli
begriffen hat – sogar ihre guten Beziehungen nützen, um eventuell
mit den Nachbarstaaten eine regionale Konföderation einzugehen.
(Siehe meinen Artikel in
Tikkun 20(1) pp.17-21: "Israel in a Middle East Union: A
'Two-stage' Approach to the Conflict.").
Es ist viel
verlangt, und es wird nicht in nächster Zeit geschehen. Die
militärische Mobilisierung jüdischer Israelis hat einen
bemerkenswert hohen Konsens erreicht (85% unterstützen die
Konstruktion der Mauer, 93% unterstützten den letzten Krieg im
Libanon), was es wirklich voneinander abweichenden Meinungen
unmöglich macht, einander näher zu kommen. Das hat auch etwas mit
dem überwältigenden Gefühl der Selbstgerechtigkeit zu tun,
kombiniert mit der Selbst-Wahrnehmung Israels als Opfer (und daher
ohne Verantwortung für die Geschehnisse, eine Partei, die nicht
verantwortlich gemacht werden kann). Auch Verachtung Arabern
gegenüber erlaubt es Israel, palästinensische (und wieder
libanesische) Zivilbevölkerung straflos und ohne Schuldgefühl oder
Unrechtbewusstsein zu verletzen.
Obwohl
Israel eine kleine lebenswichtige Friedensbewegung hat, obwohl
dissidente Stimmen von Intellektuellen oder in der Presse gehört
werden, bedeutet die Kombination aus Mystifizierung ("Es gibt keinen
Partner für den Frieden"), Verachtung, Erniedrigung und
Dehumanisierung der Palästinenser, Selbstwahrnehmung der Israelis
als Opfer, der Vormachtstellung allumfassender "Sicherheits"-Fragen
und einem bezwingenden, in sich geschlossenen umfassenden Narrativ,
dass wenig bis gar kein Spielraum für eine öffentliche Debatte
existiert, die wirklich politische Änderungen herbeiführen könnte.
Da die israelische Öffentlichkeit sich als Mitspieler zurückgezogen
hat – außer in der passiven Unterstützung ihrer politischen Führung,
die ein Programm von territorialer Expansion und Konfliktmanagement
verfolgt, – wird ein ernsthafter, gerechter und dauerhafter Frieden
nicht in diese Region kommen ohne massiven internationalen Druck. Es
bewegt sich etwas in dieser Richtung, da die Besatzung globale
Größenordnungen erreicht und Kirchen, gemeinsam mit anderen Gruppen
der Zivilgesellschaft, Kampagnen vder Ablehnung und wirtschaftlicher
Sanktionen erwägen – genau die Formen von gewaltlosem Widerstand,
die von der Welt gefordert werden. Die jüdische iraelische
Öffentlichkeit hat unglücklicherweise ihre Verantwortung außer Kraft
gesetzt. Der Zionismus, der als Bewegung von Juden begann, die ihr
Leben in die eigenen Hände nahmen, um ihr Schicksal selbst zu
bestimmen, wurde ironischerweise zu einem Bündel von Ausreden, um
Israelis davon abzuhalten, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.
Die "Abmachung" mit den politischen Parteien hat die Politik der
israelischen Regierung zum Vorwand für Unterdrückung gemacht, für
das "Besiegen" eines anderen Volkes, für das Einvernehmen mit dem
amerikanischen Imperium.
Das
Problem mit Israel ist: Es hat sich, aus all den in diesem Papier
angeführten Gründen, unzugänglich gemacht für normale politische
Prozesse. Verhandlungen funktionieren nicht, weil Israels Politik
auf "ungutem Glauben" basiert. Wenn Israels Agenda tatsächlich die
territoriale Expansion ist, die Kontrolle über das gesamte Land
westlich des Jordans und von vorne herein die Verneinung eines
lebensfähigen palästinensischen Staates, dann werden alle
Verhandlungen, die diese Agenda bedrohen könnten, abgesagt,
verschoben oder vermieden. Alle israelischen Funktionäre und ihre
Stellvertreter – lokale religiöse Prominenz, Vertreter organisierter
jüdischer Gemeinden im Ausland, liberale zionistische
Friedensorganisationen, Intellektuelle und Journalisten, die sich
selbst als "Zionisten" definieren, "pro-israelische" öffentliche
Personen in allen möglichen Ländern und so weiter – werden hier mit
eingespannt. Ihre wesentliche Rolle – freiwillig oder nicht – ist es
nicht, sich auf Verpflichtungen einzulassen, sondern von
Verpflichtungen abzulenken, einen "Zaun zu bilden" um das Kernstück
der israelischen Agenda, um den Schein zu erwecken, als stünde in
Kürze ein Fortschritt bevor, in Wirklichkeit aber Verhandlungen
abzuwenden sowie die Ausübung von Druck zu vermeiden, die die
unilareale israelische Agenda gefährden könnten.
Es ist
eine Gleichung mit Gewinner und Verlierer (win-lose). Wenn Ben
Gurions Prinzip stimmt, dass die Araber Frieden wollen, sogar
nachdem wir alles bekommen haben, was wir wollen, warum dann
Kompromisse eingehen? Es ist wahr, Israel hätte vor Jahren Frieden,
Sicherheit und Normalisierung haben können, aber kein "vereinigtes"
Jerusalem, Judäa oder Samaria. Wenn nun der Preis dafür die
fortgesetzte Feindseligkeit arabischer und muslimischer Massen ist
und keine Integraton in die Region, na gut, damit können wir sicher
leben. In der Zwischenzeit können wir uns auf unser Militär
verlassen, das mit jeder Infragestellung unserer Besatzung oder
unserer Vormachtstellung fertig wird.
Diese
Logik brachte uns fast bis zum Ende durch, bis zu Olmerts
Konvergenz-Plan, der tatsächlich die Besatzung "beenden" sollte, um
ein permanentes Regime israelischer Herrschaft zu installieren. Und
dann fand sich Israel vor der Wand wider – Sackgasse: Der Aufstieg
der Hamas in eine Machtposition in der palästinensischen
Autonomiebehörde und der traumatische "Nicht-Sieg" über die
Hisbollah. Beide Ereignisse entblößen die verhägnisvoll schwache
Stelle der Nicht-Konflikt-Friedenspolitik. Die Palästinenser sind
tatsächlich die Torwächter und die arabischen Regierungen, auf die
Israel all seine Hoffnung gesetzt hatte, sind in Gefahr,
hinweggeschwemmt zu werden von einer Welle des Fundamentalismus,
größtenteils angeheizt von der Besatzung und von Israels
Übereinstimmung mit dem amerikanischen Imperium. Friede, sogar ein
minimal stabiler Nicht-Friede, kann nicht ohne Verhandlungen mit den
Palästinensern erreicht werden, ein für alle mal. Der Krieg im
Libanon ließ Israel in den Abgrund blicken. Der
Oslo-Friedens-Prozess ist vor sechs Jahren gestorben, die
Roadmap-Initiative war eine Totgeburt und in der Folgezeit des
Kriegs verkündete Olmert, sein Konvergenzplan, der einzige Plan, den
die Regierung hatte, sei vorerst auf Eis gelegt. Der Kommentator bei
Ha'aretz, Aluf Benn, sprach vielen Israelis aus der Seele,
als er meinte:
Das Aussetzen des Konvergenzplans
wirft zwei Fragen auf: Was geschieht in den Gebieten und wozu die
Fortsetzung von Olmerts Regierung? Olmert hat keine Antworten. Auf
Aufrufe, ihn zu abzusetzen, wird mit der Drohung erwidert, Netanyahu
käme an die Macht. Was aber ist genau der Unterschied? Beide
schlagen jetzt die Beibehaltung des Status Quo in den besetzten
Gebieten vor, den Wiederaufbau im Norden und, sich mit dem Iran
herumzuschlagen. Welchen Vorteil bietet an diesem Punkt der
Regierungschef vor dem Oppositionsführer? (Ha'aretz,
25.August 2006)
Ohne die
Fähigkeit, seine regionalen Konflikte zu beenden oder unilateral zu
managen, konfrontiert mit den Grenzen militärischer Macht, mehr und
mehr isoliert in einer Welt, für die Menschenrechte doch eine Rolle
spielen, aber belastet mit einem politischen System, das Regierungen
daran hindert, politische Initiative zu ergreifen und mit einer
Öffentlichkeit, die sich nur ducken kann, findet sich Israel nicht
in einem Status Quo wieder, sondern in einer abwärts gerichteten
Gewaltspirale, die absolut nirgendwo hin führt. Schlimmer noch, es
findet sich an eine Supermacht gebunden, die gerade selbst dabei
ist, die Vergeblichkeit unilateralen Agierens bei seinen eigenen
Abenteuern im Nahen Osten zu entdecken, während sie noch Israel
ermutigt, mitzumachen. Da wir aber wissen, dass Regierungen nicht
das Richtige tun ohne vom Volk dazu getrieben zu werden, heißt die
israelische Friedensbewegung das aktive Intervenieren der sich
entwickelnden internationalen Zivilgesellschaft willkommen. Am Ende
können wir nur hoffen, dass die israelische Mehrheit sich uns
anschließt.
Die
Tür zum Frieden ist immer noch weit offen. Die palästinensische,
libanesische, ägyptische und syrische Regieung meinten, der Krieg
eröffne neue Möglichkeiten für den Frieden. Sogar Peretz äußerte
sich in dieser Richtung, wurde aber von Außenministerin Tzipi Livni
zurückgepfiffen, als sie erklärte, die Zeit sei "nicht reif" für
Gespräche mit Syrien. Stattdessen ernannte die Olmert-Regierung den
Chef der Luftwaffe zum "Kampagnen-Koordinator" für einen möglichen
Krieg mit dem Iran, und ernannte dann Avigdor Liebermann, den
Extremisten vom rechten Flügel, der bekannt ist als Befürworter von
Angriffen auf den Iran sowie eines Atomschlags auf Ägyptens
Assuan-Damm, zum stellvertretenden Premier und "Strategieminister".
Israel
will einfach nicht durch diese Tür gehen, Punkt. Es gibt keinerlei
Anzeichen dafür, dass eine der aus dem libanesischen Desaster
gezogenen Lehren die Einsicht in die Vergeblichkeit wäre, der Region
eine militärische Lösung aufzuzwingen. Im Gegenteil, nach dem Krieg
hieß der Protest in Israel: Warum ließ die Regierung die Armee nicht
gewinnen? Die Forderungen, Olmert, Peretz und Halutz abzusetzen,
wurden mit ihrem militärischen Versagen begründet, nicht etwa mit
ihrer falschen Militärpolitik. Der feinfühlige Kolumnist von
Ha'aretz Danny Rubinstein schlug eine Untersuchungskommission
vor, die herausfinden solle, warum Israel es in den letzten sechs
Jahren nicht geschafft hat, mit seinen Nachbarn Frieden zu
schließen, anstatt einen Untersuchungsausschuss der Regierung zu
fordern, der sich damit beschäftigt, warum Israel den Krieg verlor.
Die
Frage ist nun, wird die internationale Gemeinschaft, die einzige
Kraft, die die überflüssige Destabilisierung des globalen Systems
durch die israelische Besatzung beenden kann, sich aufraffen und
schließlich ein für alle Parteien annehmbares Abkommen durchsetzen?
Bisher sieht die Antwort wie "nein" aus, größtenteils unter dem
Zwang von Amerikas Ansicht, Israel sei immer noch ein wertvoller
Bündnispartner für seinen ins Stocken geratenen "Krieg gegen den
Terror". Nur wenn die internationale Gemeinschaft – wohl eher unter
der Führung Europas als der USA, die sich in dieser Hinsicht als
hoffnungsloser Fall zeigen – beschließt, dass der Preis zu hoch ist
und sich zu einer entschiedeneren Politik gegenüber der Besatzung
durchringt, werden Israels Möglichkeiten zur Manipulation ein Ende
finden. Das aktive Einschreiten der Zivilgesellschaft ist
entscheidend. Wir – Israelis, Palästinenser und Internationale –
können genau sagen, was die große Mehrheit der Israelis und
Palästinenser will: Eine Alternative zu Israels falscher
Selbstbedienungs-Sicherheits-Darstellung, mit zwei Gewinnern (win-win),
basierend auf uneingeschränkten Menschenrechten. Solch eine Kampagne
würde dazu einen messbaren Beitrag zu einem weiteren kritischen
Projekt leisten: Eine gemeinsame Kampagne, in der weltweit sich
entwickelnde Kräfte eine wirklich neue Weltordnung formulieren,
basierend auf Einschließlichkeit, Gerechtigkeit, Frieden und
Versöhnung. Wenn Israels Interesse an solch einer neuen Darstellung
schließlich geweckt ist, wenn es eine Bewegung von globaler
Einschließlichkeit und Dialog bewirkt, könnte es, trotz alledem,
doch noch zum "Licht der Völker" werden, das es schon immer sein
wollte.
(Jeff Halper
ist Koordinator des Israelischen Komitees gegen Häuserzerstörungen., erreichbar unter:
jeff@icahd.org)
[dt.Weichenhan-Mer
G.] |