Fortschreitende
ethnische Säuberung
Victoria Buch, September 2007
Die Bühne für die
ethnische Säuberung der Palästinenser ist in den besetzten Gebieten
vorbereitet worden und die ethnische Säuberung macht Fortschritte. Im
Augenblick ist dies das wesentliche Projekt im Staat Israel. Für eine
unparteiische Person mittlerer Intelligenz müsste eine Fahrt durch die
besetzen Gebiete genügen, um diese Tatsache schnell zu erkennen. Das
jeweils wichtigste Mittel für die ethnische Säuberung war der Raub
palästinensischen Bodens zusammen mit der Erweiterung der Siedlungen.
Verschiedene Stadien des Annexionsprozesses sind offensichtlich in den
ursprünglich ländlichen Teilen der Westbank, die 60 % des Gebietes
ausmachen. Bis jetzt sind 9% des Landes der Westbank unter die direkte
Kontrolle der Siedlungen transferiert worden.(1) Eine vor kurzem
durchgeführte Untersuchung von Peace Now enthüllte, dass davon nur 12%
genutzt werden. „Der Staat sieht große Teile für die Siedlungen vor, die in
keinem Verhältnis zur Größe der Siedlungen stehen, um zu verhindern, dass
Palästinenser dort bauen. Wenn erst einmal ein Gebiet für Palästinenser
gesperrt ist, beginnen die Siedler das angrenzende Land sich anzueignen,
auch wenn es privates Land ist, das außerhalb ihrer Jurisdiktion
liegt“(1,2). Nach B’tselem, der israelischen Menschenrechtsorganisation,
waren schon 2002 41% der Westbank dem israelischen Regionalrat zugeteilt
(3) . Und seit Jahren ist das ganze ländliche Gebiet, Zone C, unter
Verwaltungskontrolle der sog. „Zivilen Verwaltung“ , die in enger
Zusammenarbeit mit der israelischen Armee und den Siedlern sich darum
bemüht, das Leben seiner palästinensischen Bewohner so unerträglich wie
möglich zu machen; das offensichtliche Ziel ist, sie dazu zu bringen,
von alleine zu verschwinden.(4,5)
In der übrigen
Westbank werden die Palästinenser praktisch Gefangene in ihren eigenen
Städten und Dörfern. Jeder Aspekt palästinensischen Lebens – Wirtschaft,
Gesundheit, Bildung – wird durch eine gut organisierte und willkürliche
militärisch-bürokratische Maschine unterdrückt, die als
Sicherheitsestablishment ausgegeben wird (5) . Dann und wann wird die
Schlinge um die palästinensische Existenz erbarmungslos um eine Stufe
enger gezogen. Ethnische Säuberung durch Zerstörung von Häusern und Feldern
wird auch eifrig durch den Staat Israel gegenüber seiner
Beduinenbevölkerung, die im Negev lebt, durchgeführt. (6)
All dies wird von
meinen Landsleuten kaum wahrgenommen. Kein Wunder, da es durch einen
riesigen aber eifrig geglaubten Trick verkauft wird: mit „Verhandlungen mit
Abu Mazen“, diplomatischen Bemühungen und Versprechen von Gesten guten
Willens gegenüber den Palästinensern – die aber nie oder nur marginal für
kurze Zeit erfüllt werden.
Aus eigennützigen
Gründen beteiligen sich einige palästinensische Politiker, einschließlich
Präsident Abbas, an dieser Farce.
Ein
durchschnittlicher jüdischer Israeli weiß nichts – oder will
nichts vom Programm der ethnischen Säuberung wissen. Er
oder sie glauben lieber daran, dass es ein „Kampf gegen den Terror“ sei. Die
jüdisch-israelischen Bürger leben in einer virtuellen Realität, die wohl
überlegt ihnen von ihren Führern, den Medien und dem Bildungssystem
geliefert wird. In dieser Realität stellen die Israelis die guten Kerle dar,
die für ihre Existenz kämpfen – aber nicht als Kolonisten und Besatzer. In
dieser virtuellen Welt wird geglaubt, dass unsere Regierung hart arbeitet,
um zu einem Friedensabkommen mit den Palästinensern zu gelangen. Und wenn
dieses Ziel nicht erreicht wird, liegt es an der palästinensischen
Unnachgiebigkeit.. Dass die Siedler bei den Verhandlungen ein Hindernis
darstellen, wird zugegeben; aber die Siedler werden ( trotz des
Sasson-Berichtes (8)) eher als lästige Extremisten angesehen, denn als eine
Folge der absichtlichen und ständigen Annexionspolitik der israelischen
Regierung. (9)
Aber der
israelische Schlüsselpolitiker weiß , dass das ethnische
Säuberungsprojekt nicht auf andere Weise durchgeführt werden kann. Ich habe
mich gefragt, ob jeder neue Minister in der israelischen Regierung die
harten Tatsachen als schriftliches Dokument in die Hand erhält, ein
Dokument, das in der Vergangenheit von so jemandem wie Golda Meir oder Arik
Sharon geschrieben wurde. Wie könnte man sich sonst die bemerkenswerte
Kontinuität der israelischen Politik in den besetzten Gebieten während der
langen Jahre der Besatzung erklären? Wie kommt es, dass die augenblicklichen
Karten jüdischer Siedlungen und palästinensischer Enklaven mit denen von
Drobles und Sharons Plänen, die Westbank zu kolonisieren, so übereinstimmen,
obwohl sie vor zig Jahren vorbereitet wurden? Doch denke ich, dass es kein
handgeschriebenes Papier gibt, dass man aber von jedem Minister erwartet,
dass er selbst darauf kommt. Yitzak Rabin zahlte mit seinem Leben für das,
was damals wie eine ernsthafte Bemühung aussah, das Programm der ethnischen
Säuberung abzubrechen. (Obwohl Rabin niemals versuchte, Siedlungen
aufzulösen – es war dagegen seine Idee, die verrufenen „Umgehungsstraßen“
für die Siedler zu bauen; am Ende haben sich die Oslo-Jahre als günstige
Gelegenheit für Siedlungserweiterung unter dem Deckmantel des Schein-
„Friedensprozesses“ herausgestellt. ( s.Ref. 5c). Barak, Unterstützer des
weiträumigen Kolonisierungsprojektes in der Westbank, scheint die letzte
verfehlte Bemühung einer (sehr begrenzten) Form von Koexistenz mit den
Palästinensern gemacht zu haben. Er musste sich wohl schließlich dafür
entschieden haben, dass „ wenn man es nicht bekämpfen kann, dann schließe
man sich dem an!“ wie seine augenblicklichen Aktivitäten als neuer
Verteidigungsminister zeigen. (11)
Es war Sharon, ein
brillanter Politiker, der unter dem Deckmantel der „Trennung vom
Gazastreifen“ das Programm der ethnischen Säuberung zum „einzigen Spiel in
der Stadt“ (in der israelischen Politik) umwandelte. Inzwischen ist das
ganze zionistische Establishment dafür gewonnen worden: vom Siedler in
Hebron bis zur Shomer Hatzair (sozialistische Jugendbewegung), die ihren
Dienst im Militär tun, und genau diesen Siedlern den nötigen Schutz
liefern. (12) Die augenblickliche Politik des Staates Israel wird von der
Absprache mit den Siedlern bestimmt, die einen unersättlichen Appetit nach
Land haben und dem Appetit der Generäle nach Aktionen. Die gewählten Führer,
die diese Politik ausführen, rangieren von uneingeschränkten Unterstützern
bis zu mehr oder weniger willigen Komplizen, die an ihre Karriere denken.
Zur Zeit gibt es keinen Führer, der aktiv gegen das Programm der ethnischen
Säuberung ist. Im Hintergrund läuft der intensiver werdende Propagandaton,
der Palästinenser – Bürger Israels und Nichtbürger – als demographische
Gefahr bezeichnet, gegen die man etwas unternehmen müsste.(13)
Die israelische
Politik gegenüber den Palästinensern kann kurz zusammen gefasst werden: „Fügt
ihnen so viel Schaden wie irgend möglich zu.“ Aber wie stellen sich die
israelischen Führer das Ende des Spieles vor? Der harte Kern der
Nationalisten spricht es laut aus: „Transfer“, d.h. Vertreibung der
Palästinenser. Aber wie denken die Führer des Mainstream, diejenigen, die
tatsächlich die Vertreibung ausführen (im Augenblick intern zu den
palästinensischen Gettos und Enklaven)? Die Operation ist zu gut
organisiert, als dass einer glauben könnte, dass das ENDSPIEL (die
ENDLÖSUNG ??) nie in Betracht gezogen worden sei.
Ich glaube, dass es
das Endziel unserer Regierenden ist, die Bühne für eine 2. Nakbah
vorzubereiten. Wozu werden sonst die Palästinenser ständig zu Gewalt
provoziert? Jede nur etwas nachdenkliche Person versteht, dass die
israelische Politik in den besetzten Gebieten schließlich in einer
gewalttätigen Verzweiflungstat enden wird. Erzählt mir nicht, dass unsere
Führer dies nicht genau wissen. Angenommen, unter ihnen sind totale
Opportunisten, die sich um nichts anderes kümmern als darum, wie sie an der
Macht bleiben können. Aber einer ist dabei, der die ethnische Säuberung
vorantreibt. Sharon war der eifrigste unter ihnen. Wenn man nach der gut
organisierten Fortsetzung aus urteilt – dann sind seine Verbündeten voll mit
im Geschäft. Ich denke, dass diese Leute tatsächlich nur auf diese Gewalt
warten. Sie haben ihre Augen auf den Preis der Immobilie Westbank geheftet.
Eine Gewalttat aus Verzweiflung würde den Staat Israel in die Lage
versetzen, die Westbank zu annektieren – die ganze Westbank d.h. nachdem man
den größten Teil der palästinensischen Bevölkerung los geworden ist – genau
wie 1948. Das ist - meiner Ansicht nach - die Endlösung, wie man sie sich
vorstellt. Wohin wollen sie die Palästinenser aber vertreiben? Nach
Jordanien, in den Gazastreifen? Nach Syrien? Ich weiß es nicht.
Wird die ethnische
Säuberung von Erfolg gekrönt sein? Die Autoren dieser Politik rechnen
offensichtlich damit. Die Möglichkeit ist vorhanden: der gegenwärtige
Präsident der US-Regierung unterstützt Israel, egal was es macht; und die EU
und die arabischen Länder sind unfähig oder nicht bereit, sich gegen die USA
zu stellen. Es ist wahrscheinlich, dass der bevorstehende Gewaltausbruch von
den verzweifelten und armen Palästinensern ausgeht; und dann wird unsere
Propagandamaschine zum xten Mal in der Lage sein, uns der Welt als Opfer
darzustellen und die Palästinenser als die Täter. Die israelische Reaktion
wird als legitime Verteidigungsaktion dargestellt werden. Die Geschichte
wird es später anders beurteilen, aber wird sich jemand in der Zwischenzeit
– solange die augenblickliche Konstellation hält – um die Palästinenser
kümmern?
Auf Dauer jedoch,
lauert für Israel hier auch eine Katastrophe. Das hängt damit zusammen,
dass wir eine kleine Nation sind und die Palästinenser ein ähnlich kleines
Volk sind, aber ein Teil der großen muslimischen Welt. Das südafrikanische
Experiment deutet darauf hin, dass das apartheidartige System, das den
Palästinensern auferlegt wurde, nicht auf Dauer realisierbar bleibt, selbst
wenn es anfangs wie unbesiegbar schien. Wie die Invasion in den Libanon im
letzten Jahre veranschaulicht hat, verschlechtert sich die Situation der
israelischen Armee, die sich durch jahrelange Tätigkeit als Kolonialmiliz
korrumpierte. Gleichzeitig wurden die Generäle zunehmend hemmungsloser und
leichtsinniger. (14) Die israelische Wirtschaft verlässt sich zudem auf
Unterstützung eines ähnlich leichtsinnigen US korporativ-politischen
Establishment - aber diese sehr teure Unterstützung wird wahrscheinlich
nicht ewig dauern. Die Fähigkeit der USA, der Welt zu diktieren, schwindet
wahrscheinlich auch langsam dahin, da Russland und China bald selbst diese
Fähigkeit haben. Und was vielleicht am wichtigsten ist – der Felsendom, die
drittheiligste Stätte des Islam - steht nicht zur Debatte.
Meiner Ansicht nach
hat mein Land Israel eine selbstmörderische Politik begonnen. So etwas hat
sich schon einmal in der jüdischen Geschichte zugetragen – vor 1940 Jahren –
man lese nur bei Josephus Flavius „der Jüdische Krieg“ nach. Und genau wie
in der damaligen Zeit ist es dem größten Teil der jüdischen Öffentlichkeit
nicht klar, dass sie von ihren eigenen Führern in die Katastrophe geführt
wird.
Die Autorin
ist israelische Akademikerin und eine Aktivistin gegen die Besatzung. Sie
ist Mitglied der Redaktion von Occupation Magazine
www.kibush.co.il . Sie ist zu erreichen über
vvbb54@yahoo.com
(dt.
Ellen Rohlfs – die Fußnoten sind nicht übersetzt, doch bei der
Englischfassung zu finden)
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