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Die Palästinenser: eine gekidnappte Gesellschaft
Abraham Burg,  18.6.14

Wir sind unfähig das Leiden einer Gesellschaft zu verstehen, sein Schreien und die Zukunft einer ganzen Nation, die von uns gekidnappt worden ist.

Wir leiden sehr wegen der drei entführten Teenager, deren Namen wir vor kurzem nicht einmal kannten, die aber jetzt uns allen gehören. Jeder sieht wie mein eigener Sohn aus, wie der Sohn  von jedem meiner Freunde und ihrer Freunde.

Wie viele Leute hoffe ich aus tiefsten Herzen, dass der Moment kommen wird, wenn wir sie wieder lebendig unter uns sehen und dass all diese Spannung sich auflösen wird. Ich hoffe, wirklich zitternd, aber ich kann nicht wünschen, die verschwiegene Wahrheit zu ignorieren, die ihre Entführung umgibt. Diese drei Jungs sind wirklich unglücklich. Sie sind unglücklich, wegen der Angstfalle, in der sie gefangen worden sind, die Unsicherheit und die Tatsache, dass Leben in großer Gefahr schwebt.  Wir haben großes Mitleid mit ihnen und ihren Familien, weil sie in einem  einzigen Augenblick in die grelle Öffentlichkeit gerieten. Und diese Teenager sind unglücklich, wegen der Lüge, in der sie ihr Leben lang gelebt haben – Leben von angenommener Normalität, das auf die  Grundmauern von Israels größter Ungerechtigkeit gebaut wurde: auf die Besatzung.

Wenden wir uns von ihrem Elend zu unserm eigenen. Für uns ist ein dramatisches oder traumatisches Ereignis immer ein sehr klarer, ausgeklügelter und transparenter Moment. All die Pläne und Versäumnisse, die Ängste und Hoffnungen brechen hervor.

Hier sind Israels oberflächlicher Ministerpräsident und schusselige Polizei, die Massen, die sich an nutzlose Gebete halten und  nicht einen Moment an menschlichen Frieden.  Hier sind die  scheinheiligen Oberrabbiner, die erst vor einem Monat vom Papst Versprechen verlangten, die  die Zukunft des jüdischen Volkes betreffen, aber in ihrem täglichen Leben nichts über das Schicksal des Volkes sagen, das unsere Nachbarn sind, getreten  und  von der Besatzung  und Rassismus unterdrückt  wird. Und das von der Führung der Rabbiner, die  maßlose Gehälter und Vergünstigungen erhalten.   (dt Ellen Rohlfs)

Plötzlich   bricht alles auf, wird in seinem Wesen ausgedrückt, taucht aus der Finsternis ins Sonnenlicht. Dies ist genau der Moment, um Absichten zu prüfen, weil  - wie gesagt – alles offen liegt.

Als erstes Netanjahus Leere. Darüber muss nicht viel gesagt werden. Schließlich ist er derjenige, der alle israelisch-palästinensischen Gespräche in die knausrige Ecke des Problems der Gefangenenentlassung führte. Er ist es auch, der mit eigenen Worten Israels Verpflichtung, die letzte Gruppe der palästinensischen Gefangenen zu entlassen. Er ist auch derjenige, der die Palästinensische Behörde in die Wecke trieb, sich mir der Hamas zu vereinigen.

Über was beklagt er sich jetzt mit seinen dramatischen und schmalzigen Kommentaren und Gesten? Seine unmittelbare, abhängige, unüberlegte Antwort zeigt, dass er genau auf diesen Augenblick wartete, um nur zu sagen: „genau, das sagte ich euch. Was sagte er und denn? Die schmerzliche Antwort: „Gar nichts!“

 

Plötzlich wird alles, was auftaucht in seinem wahren Wesen ausgedrückt, indem es aus der Dunkelheit ins Sonnenlicht taucht. Das ist genau der Moment, um Absichten zu untersuchen – da, wie gesagt, alles offen liegt..

Als erstes Netanyahus Hohlheit. Dazu muss nicht viel  gesagt werden. Nach alledem ist er der- jenige, der alle israelisch-palästinensischen Gespräche in die geschlossene Ecke  der Gefangenentlassung führte. Er ist auch derjenige, der nach seinen eigenen Worten gegen Israels Verpflichtung verstieß, die letzte Gruppe der palästinensischen Gefangenen freizulassen. Er ist auch derjenige, der die palästinensische Autorität in die Ecke manövrierte, sich mit Hamas zu vereinigen.

Also, worüber beklagt er sich genau, mit seinen dramatischen und schmalzigen Kommentaren und Gesten. Seine sofortige, gedankenlose Antwort zeigt, dass er nur auf diesen Moment gewartet hatte, nur um zu sagen: „Ich habe es euch ja gesagt.“ Und nun, wo er es gesagt hat, taucht die wirkliche Frage auf: „Was genau sagt er uns?“ Die schmerzliche Antwort ist: „Gar nichts!“  …..

Wie kann es sein, dass nicht einer von ihnen aufgestanden ist und gesagt hat: „Jeder, der auf der anderen Seite der schwarzen Linie ist, trägt die Verantwortung. Es ist nicht erfreulich, aber es ist die Wahrheit. Und letztlich ist es nie erfreulich.

Bevor es eine Geiselnahme gibt - weshalb sollte man etwas sagen? Es hört sowieso niemand zu, weil die Lage zu ruhig ist. Und im Moment, wo sie eine Geisel nehmen, brauchen wir nicht zu sprechen (wie der verantwortliche Direktor von Peace Now sagte), da die Unsrigen, die als Geisel genommen wurden, gegangen sind. Und wenn all das in dem endet, was , Gott bewahre, eine persönliche Tragödie oder eine kollektive Tragödie sein könnte, für die sich niemand interessiert, weshalb sollten wir sprechen? Jeder ist wieder einmal mit dem israelischen Supermodel, Bar Refaeli, dem FIFA-Weltcup oder dem nächsten Skandal beschäftigt. Somit ist dies auch ein purer Moment der Isolierung. Nicht die Isolierung von Häusern, an die wir gewöhnt sind, sondern die Isolierung der Herzen. Wenige Menschen rechts und links – mit Ausnahme von Gideon Levy, Uri Misgav, und wenigen anderen vorsichtige und erschrockene Kommentatoren – versuchen, die tiefen Wurzeln der Geiselnahme zu begreifen.

Wir sprechen uns frei, indem wir sagen: „Sie  verteilten uns Süßigkeiten “, nachdem sie von der Geiselnahme erfuhren. Ihre Freude macht uns glücklich, seitdem sie, je glücklicher sie über unser Leiden sind, desto befreiter sind wir davon, an ihnen und ihrem Leiden  Interesse zu haben. Aber es gibt keinen Weg da vorbei: Das ist eine Art von Freude, die eine tiefere Studie und tieferes Verständnis verlangt. Die gesamte palästinensische Gesellschaft ist eine entführte Gesellschaft. Wie viele Israelis, die einen „wichtigen Dienst“ in der Armee leisteten, drangen viele der Leser dieser Kolumne, oder deren Kinder mitten in der Nacht, in ein Haus einer palästinensischen Familie  überraschend ein, mit Gewalt, und nahmen einfach entschlossen  und unsensibel den Vater, den Bruder oder den Onkel mit. . Das ist eine Entführung, und sie geschieht täglich. Und was ist mit ihren Administrativ-Häftlingen?

Was ist das alles, wenn nicht ein große, offizielle, üble und ungerechte Entführung, an der wir alle beteiligt sind und nie den Preis dafür zahlen? Das ist das Schicksal zehntausender Gefangener und anderen, die inhaftiert wurden, die in israelischen Gefängnissen saßen oder noch sitzen – etliche von ihnen aus keinem triftigen Grund, unter falschem Vorwand inhaftiert.. Die große Mehrheit von ihnen wurde der Militärjustiz ausgesetzt und keiner von uns kümmerte sich darum. All diese Dinge haben  im Leben der besetzten Gesellschaft die Thematik der Gefangenen zum Hauptthema gemacht. Es gibt nicht einen einzigen Haushalt ohne einen Inhaftierten oder Strafgefangenen. Also, weshalb ist es so schwer, ihre Freude und unseren Schmerz, unsere Ängste und Sorge nicht zu verstehen? Es war und kann noch anders sein. Doch, solange die israelische Regierung alle Tore zur Freiheit verschließt, vor allen wirklichen Verhandlungen flüchtet, die den Konflikt lösen könnten,  sich weigert, Gesten des guten Willens zu zeigen aber, lügt und eklatant seine eigenen Verpflichtungen verletzt – ist Gewalt das einzige, was den Palästinensern bleibt.

Es ist bereits bewiesen, dass jedes Mal, wenn sie eine Geisel genommen haben, ein (Gefangener) freigelassen wurde. Wieder einmal scheint es so, dass Israel nur Gewalt versteht. Was sagt das über uns aus? Unsere Antworten – die von: „Sie verdienen es“ und: „Sie sind alle Terroristen“, rangieren  bis zu: „Ich folge nur Befehlen“ und: „ich wusste nicht, was vor sich ging“ - sagt mehr über uns aus als über sie.

Trotz des enormen und beeindruckenden Erfolges von „Breaking the Silence (einer NGO, die Zeugenaussagen von Soldaten sammelt, die in der Westbank gedient haben), ist unser totales Schweigen  immer noch das Lauteste um uns herum. Wir sind bereit, das eine Entführungsopfer (Pollard in den USA) zu vergessen, aber wir sind unfähig, das Leiden einer gesamten Gesellschaft zu verstehen, ihre Schreie, und die Zukunft einer gesamten Nation, die von uns entführt wurde.

Auch das muss ausgesprochen und in diesem Augenblick der Klarheit gehört worden – und so laut wie möglich.

(Dt. Inga Gelsdorf und Ellen Rohlfs, unbedeutend gekürzt)

 

 

 

 

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