Ein bi-nationales Zelt – in Jaffa
Udi Aloni * . 6.8.11
Falls wir unsern Finger auf das Wesentliche des
palästinensischen Kampf legen und dieses in wenigen Worten
zusammenfassen, dann ist es „ein Kampf um ein Heim.“
Keiner, in dessen Adern revolutionäres Blut
fließt, kann von der Protestwelle der letzten Wochen gleichgültig
und unbewegt bleiben. Jeder von uns hofft, dass der Spalt, der sich
in der israelisch ideologischen Struktur geöffnet hat, weiter wird
und die Herzen der Israelis öffnet, auch gegenüber der
jahrzehntelangen Unterdrückung der Palästinenser – beides Bürger und
letztere unter militärischer Besatzung.
Doch jedes Mal, wenn ich den Slogan höre „wir
sind nicht politisch“ oder „hier gibt es weder Linke noch Rechte,
nur Leute“ wird mir angst und bang , weil in Israel genau der Slogan
„wir sind nicht politisch“ der ideologische und politische Codename
bedeutet: Mit dem Palästinenser wollen wir nichts zu tun haben,
unabhängig von seiner Staatsbürgerschaft. Genau dasselbe war bei der
Schwulendemo nach dem abscheulichen Mord in Tel Aviv (als zwei
schwule Jugendliche von einem unbekannten Mörder erschossen worden
waren), wo der Chef der Schwulengruppe Bibis Hand schüttelte, der
aber ein arabisches Knessetmitglied nicht reden ließ – aber so ist
der Fall auch jetzt. Doch können wir es jetzt anders machen?
In seinem letzten Artikel schimpft Prof. Nisim
Calderon die Protestbewegung aus und sieht mit Bedauern auf die
israelische Linke zurück, die - so behauptet er – immer von Frieden
aber nie von Gerechtigkeit sprach. Aber was Calderon vergisst –
oder bewusst ignoriert – ist, dass er nur im Namen der national(istisch)en
Linken sprach. Der Slogan der radikalen Linken ist immer „Kein
Frieden ohne Gerechtigkeit“ gewesen. So war es, als sie mit den
Schwarzen Pantern marschierten und so ist es heute, wenn sie heute
in den Süden von Tel Aviv zurückkehren, um in Solidarität mit den
Arbeitern und Flüchtlingen (ohne Ausweise) zu marschieren und sie
zu verteidigen, nach strapaziösen Kämpfen in Bilin und Nilin, wo sie
Seite an Seite mit palästinensischen Bauern stehen, deren Land
gestohlen und von der israelischen Besatzung enteignet wurde. Diese
wahre Linke ist diejenige, die fast ein Jahr in Protestzelten in
Ramle, Lydda und Sheikh Jarrah in Solidarität mit ihren Brüdern und
Schwestern in Protestzelten sitzt, und haben so unbemerkt eine
gleichberechtigte bi-nationale Gemeinschaft gegründet, die zusammen
gegen die Hauszerstörungen der unterprivilegierten Familien kämpfen,
deren Kinder man obdachlos lässt; ein gemeinsamer Kampf für soziale
und politische Gerechtigkeit für alle.
Heute erfahren viele junge Israelis am eigenen
Leib, was es heißt, ohne eine Wohnung zu sein.
Indem sie vielleicht auf die Akirov-Türme
schauen, die den Diebstahl und die Ausbeutung durch die neoliberale
Elite symbolisieren. Werden sie zu denen schauen, die immer
unterdrückt worden sind, zu denen, die verhaftet oder während ihres
Kampfes nicht nur für ein Haus erschossen wurden?
Es könnte sein, dass sie von der
Rothschild-Boulvard-Protestbewegung lernen werden, sich auch um die
Palästinenser zu kümmern und für sie Gerechtigkeit fordern, bevor
sie ihre Hände nach Frieden ausstrecken. Im Augenblick gibt es keine
ausgestreckte Hand, stattdessen eine brüllende Stille. Das
Wichtigste im palästinensischen Kampf wird am besten durch einen
„Kampf um eine Wohnung“ ausgedrückt. Der Kampf in Bilin ist so
einer; so auch der in Sheik Jarrah. Und so ist es mit dem
Familienzelt in Lydda, deren geräumtes Haus länger als ein halbes
Jahr leer stand, während 60 Kinder auf die Straße geworfen wurden.
Der „Landtag“ im März ist ein Kampf für ein Heim, so auch das Recht
auf Rückkehr.
Im letzten Februar rief ich hier die Israelis
auf, sich der Jasmin-Revolution anzuschließen, um mitzuhelfen, eine
Möglichkeit für einen jungen und gerechten demokratischen Nahen
Osten zu schaffen. Um den Geist des Tahrir-Platzes zu teilen,
argumentierte ich und tue es noch, dass wir über unser nationales
Paradigma hinaus denken müssen. Als Abed Abu Sahade und seine
Freunde ihr bi-nationales Zelt für palästinensische Hausrechte als
enteignete Gemeinde - wie im Falle Jaffa – aufrichteten, kam bei
mir Hoffnung auf.
Es ist für einen Palästinenser aus Jaffa nicht
selbstverständlich, ein bi-nationales Zelt aufzustellen, wie viele
Palästinenser es zu Recht halten, solange ihre Brüder jenseits der
Grünen Linie unter Besatzung leben, und Israels Regeln,
Gesetzentwürfe und Versorgung dem ständigen und systematischen
Diebstahl palästinensischen Landes auf beiden Seiten der Grünen
Linie dient und dieses Land in jüdischen Besitz bringt. Dort gibt es
keine Rechtfertigung für einen gemeinsamen Kampf.
Mit allem Respekt vor den Leuten im
Rothschild-Boulevard kann ein Kampf, der das palästinensische
Problem ignoriert, kein Kampf für Gerechtigkeit sein. Demzufolge
sind viele der Ansicht, dass zunächst ein Kampf im Interesse einer
palästinensischen Identität geführt werden muss. Und nur dann
sollte sie sich aus einer Position der Stärke und auf gleicher
Augenhöhe dem allgemeinen Kampf anschließen, in der Hoffnung, dass
dieser sich wiederum dem breiteren und größeren Kampf der jungen
Generation im Nahen Osten anschließt. Deshalb bin ich den Menschen
in Jaffa für die große Bereitschaft dankbar, dass sie bereit waren,
ihr binationales Zelt aufzubauen, denn das zeigt, dass ihr Vertrauen
gewachsen ist.
Wenn vielleicht die Organisatoren der
Protestzelte zu ihren Forderungen auch die Forderung hinzufügen
würden, von den Hauszerstörungen abzulassen und den Landdiebstahl
zwischen Fluss und Meer auf einer nationalen, ethischen Basis
verbieten würden, dann würden sich mehr Palästinenser dem Kampf
anschließen, auf den die Jaffabevölkerung zu setzen wagte. Als der
Protest weiterging, sagte der Ministerpräsident: „Wir werden uns
unter einer Bedingung treffen, wenn euer Team auch Frauen
einschließt“ und wir sagen , ‚wir werden uns mit Ihnen in der
Rothschild Bv. nur dann treffen, wenn Sie als Teil unserer Bedingung
besondere Forderungen einschließen, die dahin zielen, die
historische und anhaltende Ungerechtigkeit gegenüber den
Palästinensern – auf beiden Seiten der Apartheidmauer - zu
korrigieren’.
Indem man dies tut, wird man tatsächlich viele
Teile der jüdischen Gesellschaft verlieren. Aber es gibt keine
andere Wahl, denn, wenn man nicht auf Grund eines allgemeinen
Gerechtigkeitsgefühls handelt, dann wird diese Protestwelle – wie
andere zuvor – damit enden, dass der rassistisch ideologische
Mechanismus von heute sich verdoppeln wird, womöglich mit
verbessertem Status für die herrschende Klasse. Oder noch schlimmer:
die Proteste und das weit verbreitete Gefühl der Unzufriedenheit
fällt als reife Frucht in die Hände der extremen Rechten, die nun
auch den Rothschild-Boulevard bevölkert, ähnlich Vergewaltigern, die
sich einer Demonstration für Frauenrechte anschließen.
Während ich diesen Artikel schrieb, wurde in den
Medien verkündet, dass beide Parteien – Kadima und Labour – in der
Knesset einen Gesetzentwurf vorgeschlagen haben, nach dem die
arabische Sprache nicht länger eine offizielle sein soll und die
jüdische Natur des Staates über der demokratischen stehen solle.
Deshalb sollten am Samstag Juden, die an
Gerechtigkeit und Demokratie für alle glauben, Seite an Seite mit
ihren palästinensischen Brüdern und Schwestern gehen. Kadima und
Labour-Leute können entlang der Baruch Marzel und seinen
rassistischen Geschwistern laufen, denn sie haben ihren Match
gefunden. Wir unterdessen wollen in unsern Zelten die Grundlage für
die nächste Revolution der bi-nationalen Front für politische und
soziale Gerechtigkeit vom Fluss zum Meer legen.
(Hebr./engl: Matan Cohen; engl./dt
Ellen Rohlfs)
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