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ief-aus-Israel]


 

 From: "Angelika Schneider" <anka.sch(at)gmx.net To: <Brief-aus-Israel(at)yahoogroups.de Subject: [Brief-aus-Israel] Aktuelles aus den besetzten Gebieten  

 

Brief aus Israel 11.4.06
 

Liebe FreundInnen,

viele von euch haben wahrscheinlich bereits etwas erfahren von dem Ausbruch von Gewalt am vergangenen Wochenende. In Nablus starben mindestens 2 Leute bei einem neuen Angriff; 14 Menschen (11 davon Kinder) wurden 48 Stunden lang gefangen gehalten in einem Raum, während Soldaten die Wohnung besetzt hielten, (dabei wurden drei kleine Mädchen längere Zeit allein in einer Wohnung zurückgelassen mit dem Herd an - eine war allein in der Dusche). In Gaza kamen mehr als 15 Menschen bei nächtlichen Bombardements ums Leben. Es ist schwer, vor lauter Verzweiflung nicht abzustumpfen, deswegen übersetze ich lieber einen menschlichen Aufschrei aus Gaza, anstatt Fakten und Statistiken aus mehreren Gräueln aneinander zu reihen.

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Die Erde erdrückt uns

von Laila El Haddad

Montag, 10. April

http://a-mother-from-gaza.blogspot.com/

Die Geschosse fallen immer weiter. Sie sind in meinen Kopf eingedrungen. Es ist als ob jemand alle paar Minuten neben meinem Ohr auf einen Gong schlägt; manchmal, wie in der vergangen Nacht, 5 mal in der Minute. Und gerade wenn ich ein paar Augenblicke der Ruhe genieße fängt es wieder an, als ob man sagen wollte, "so leicht kommst du nicht davon."

Wir gingen schlafen beim drohenden Klappern der Fenster und das eindringliche Echo von Artilleriegeschösse. Wir schlafen während sie fallen. Wir beten fajir, und sie fallen wieder. Wir erwachen, sie fallen immer noch.

Heute haben sie die 8-jährige Hadil Ghabin getötet. Ein Geschoss landete auf ihrem Haus in Beit Lahiya, tötete sie und verletzte 5 Mitglieder ihrer Familie, darunter ihre schwangere Mutter Sagia und ihre 19-jährige Schwester.

Meine Kopfschmerzen kommen mir unbedeutend vor wenn ich an die kleine Hadil denke. Manchmal sagen Leute hier, dass sie den Tod dieser Existenz vorziehen; man hört das oft auf Beerdigungen. "Irta'at? Ihr geht es jetzt sowieso besser - wofür lebt man hier überhaupt. Das ist unsere traurige Wirklichkeit. Der Tod bringt Erleichterung.

Die Erde erdrückt uns.

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Ich wünsche wir wären ihr Weizen so könnten wir sterben und wieder leben.

Manchmal fühlt es sich an als seien wir in einem kollektiven Folterraum; wer spielt in dieser Nacht Gott? frage ich mich. Wenn ich in den Himmel schaue und die Geschosse höre, oder die gesichtslosen Kampfhubschrauber, die eifrig durch den Mondschein kreuzen, frage ich mich ob sie mich sehen.

Und wenn die Geschosse wieder fallen werde ich vom Bild einen18-jährigen an der Grenze heimgesucht, der sich eine Zigarette anzündet oder seiner Freundin in Tel-Aviv simst, "nur noch ein paar Runden, Schatz.... Nochmal eine Runde, Ron, es waren ja schon 2 Minuten."

Manchmal, wenn ich nervös bin, könnte ich einfach mal schreien und in ihre Richtung mit den Armen rudern.

Hören sie mich?

Wir beschlossen heute Abend zu entfliehen auf die Farm meines Vaters in der Mitte von Gaza, wo wir Kartoffeln rösteten und Tee auf einem kleinen Mangal wärmten, als wir thikr über den Propheten hörten bei Gelegenheit seiner mawlid aus einer nahen Moschee, unter dem drohenden Donnern von Kampfjets, die den ansonsten einsamen Himmel über uns patrouillierten.

"Wo geht ihr hin?" fragt Osama, der Ladenbesitzer unten. "Auf die Farm. Wir ersticken," antworte ich, während Yousef mich am Arm zieht.

"Mama... Yallah! Yallah!"

Weist du, Laila, wir ersticken nicht nur ... wir sterben. Ich hab das Gefühl, dass ich nicht mehr atmen kann. Und in meinem Kopf schlägt es und schlägt es. Ich höre jetzt nur noch BUM bum."

Die Erde erdrückt uns.

Und Hadil ist tot.

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In Bil'in wurde der 12. Todesfall durch den Mauerbau geehrt: zwei Brüder wurden von Gewässern, die durch die Mauer am abfließen verhindert wurden, mitgerissen. Einer verfing sich im Stacheldraht und ertrank.

Unter den anderen 11 waren 5 Kinder unter 16.

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Eine Aktivistin in Hebron berichtet von 3 kleinen Mädchen, deren letzter Durchschlupf zur Schule durch Stacheldraht geschlossen wurde. Nun helfen sie sich gegenseitig, über den Natodraht zu steigen. Und wieder werden auch Menschenrechtsbeobachter von Siedlern tätlich angegriffen.

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Die israelische Armee weigert sich nach wie vor, die Regeln für das Eröffnung des Feuers, die Soldaten in den besetzten Gebieten erhalten, öffentlich zu machen. Die Menschenrechtsorganisation B'Tselem behauptet, dass die Geheimhaltung der Regeln es höheren Offizieren erlaubt, Verantwortung für Tötungen abzulehnen und die Kritik auf einzelne Soldaten abzuwälzen. Die Regeln werden ganz unterschiedlich - mal in verkürzter Form, mal noch ergänzt, an die Soldaten weiter gegeben. Die Geheimhaltung ermutigt dazu, den Finger schnell am Abzug zu haben.

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Und dennoch gibt es immer wieder Lichtblicke: "Befreiungstreffen im Schatten der Trennungsmauer"

Gestern Nachmittag trafen sich 120 frühere israelische und palästinensische Kombattanten in der Sekundarschule in Amata (deren Schulhof z.T. vom Zaun abgetrennt ist) zu einem Friedensvorstoß: frühere Soldaten der israelischen Armee und Palästinenser, die an gewaltsamen Befreiungsaktionen teilgenommen hatten. "In der Vergangenheit haben wir Waffen gegeneinander eingesetzt, wir sahen einander nur durch die Gewehrvisiere - jetzt arbeiten wir zusammen für Frieden und Gerechtigkeit."

Das Befreiungstreffen ist die erste öffentliche Veranstaltung der "Kombattanten für den Frieden", nach einem Jahr geheimer Treffen. Sie wollen nun Druck auf beide Seiten ausüben, um Friedensverhandlungen zu ermöglichen.

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Vorgestern habe ich eine Post von Ellen Rohlfs weitergeschickt. Darin war ein Artikel zu Untersuchungen über die angebliche Schuld Arafats an der zweiten Intifada. Die Beschuldigung wurde von einem Gremium bestehend aus dem früheren Chef des Allgemeinen Sicherheitsdienstes Avi Dichter und zwei früheren Generälen für gegenstandslos erklärt. Im Januar habe ich die Behauptung von Arafats Schuld (die mir bis dahin unbekannt war) von Ulrich Sahm bei einem Vortrag in Bremen gehört.

Ulrich Sahm ist Israelkorrespondent von n-tv und dem Weserkurier. Er brüstete sich bei dem Vortrag genauester Kenntnisse aus den höchsten israelischen und palästinensischen Kreisen. Soweit ich mich erinnere, hat er behauptet, Arafat selber habe in seiner Anwesenheit diese Schuld zugegeben, obwohl ich mir dessen nicht ganz sicher bin. Vielleicht war Sahm doch nicht so eingeweiht wie er gerne behauptet.

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Heute habe folgenden Leserbrief an den Weserkurier geschrieben:

Ist eigentlich die ganze Welt blind geworden? Ständig und von allen Seiten kommt die Forderung: Hamas muss auf Gewalt verzichten und Israel anerkennen. Im Prinzip gut und richtig. Nur: Hamas hat seit vielen Monaten keine Menschen mehr getötet, Israel dagegen allein in diesen Tagen 20, darunter mehrere Kinder. Vor wenigen Tagen erschoss ein Soldat ein 8-jähriges Mädchen das im Auto saß aus wenigen Meter Entfernung - ohne Vorwarnung, ohne die vorgeschriebenen Schüsse - bei Verdacht - auf die Räder des Autos. Seit Beginn der 2. Intifada sind mindestens doppelt soviele PalästinenserInnen umgekommen wie Israelis.

Mehr als 1700 von ihnen (nach Dokumentation einer israelischen Menschenrechtsorganisation) außerhalb jeder Kampfsituation. Mehr als 700 waren Kinder. WER soll da auf Gewalt verzichten?

Auch Anerkennung ist zweiseitig. Der Staat Israel wird durch Hamas weder angegriffen noch gefährdet. Täglich werden dagegen weitere Gebiete der Westbank von Israel beschlagnahmt oder annektiert, den PalästinenserInnen der Zugang verweigert.

Anerkennung und Verzicht auf Gewalt - ja. Aber für beide Seiten!

Ich grüße euch,

Anka

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