Liebe LeserInnen,
Noch bin ich mit meinem 'Umzug nach Hause' beschäftigt, bis das
letzte Chaos beseitigt ist wird es wohl noch eine Weile dauern, ich
hoffe aber, jetzt oder zumindest bald wieder regelmäßiger berichten
zu können.
Während dessen läuft
der Terror gegen unschuldige Menschen in Palästina - nicht nur in
den besetzten Gebieten, seitdem Gaza offiziell unabhängig ist -
ungeschwächt weiter. Immer wieder wird im Übrigen diese Einteilung
gemacht zwischen 'Schuldigen' und 'Unschuldigen', als ob es völlig
in Ordnung wäre, sogenannte 'Schuldige', meist junge Leute die
versuchen, sich gegen Unterdrückung uns Staatsterror zur Wehr zu
setzten, mit jedem Mittel zu beseitigen. Inwiefern sind die
PalästinenserInnen überhaupt als schuldig zu betrachten an einem
Konflikt, der von außen völlig unprovoziert ihnen ins Land getragen
wurde?
Dennoch sind die BewohnerInnen von Bil'in, die nun schon seit bald
einem Jahr ohne Gewalt versuchen, den Bau des Zaunes, der den Zugang
zu einem großen Teil der Wälder und Olivenhaine, von denen ihr
Lebensunterhalt abhängt, verhindert, in besonderem Maße unschuldig.
Man kann sich kaum vorstellen, was es bedeutet, gewaltfrei zu
bleiben im Angesicht von hochbewaffneten Militärs, die sich nicht
scheuen, auf unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder zu schießen -
mit Tränengas, sog. Gummigeschossen, unerträgliche Lärmgranaten (die
alle Verletzungen und manchmal auch den Tod bewirken können) und
auch mit scharfer Munition.
Für ohnehin risikobereite, nicht besonders trainierte Jungen würde
es wohl übermenschlichen Langmut kosten, ihren Zorn nach Beendigung
der gewaltfreien Demo nicht durch Steinwurfe Luft zu machen.
Vielleicht noch schwieriger ist es, sich das Leiden der Eltern
vorzustellen, deren Kinder mitten in der Nacht aus ihren Betten
gerissen und ins Gefängnis gebracht werden, wo sie häufig sogar
jahrelang ohne Prozess fest gehalten werden, häufig unter kaum
menschlichen Bedingungen und, da natürlich unter diesem Regime alle
Gefängnisse überquellen, häufig ohne Besuchsmöglichkeiten.
Vor Kurzem wurden in Bil'in 4 Jugendliche ergriffen und verschleppt,
der jüngste nur 14 Jahre alt. Sie haben immerhin das Glück, dass
ihnen der Prozess gemacht wird, wohl wegen der großen
Aufmerksamkeit, die der Widerstand in Bil'in erregt hat. Das beste,
was als Ergebnis zu hoffen ist, ist, dass sie gegen Kaution
entlassen werden. Dies droht aber zu scheitern weil der ISM, die
geholfen hat, den gewaltlosen Widerstand zu organisieren und
begleiten, schlicht das Geld für die Kaution fehlt. Es wird daher
inständig gebeten, Spenden für diesen Zweck zu entrichten.
Es können Schecks, ausgestellt an 'MECA (ISM-USA Fund)," direkt an
den
Prozessfonds von ISM geschickt werden, und zwar an
ISM - USA
PO Box 5073
Berkeley CA 94705-0073
USA
Außerdem besteht die Möglichkeit, auf der Internetseite
www.palsolidarity.org/main/donations/ durch PayPal zu zahlen. Hier
kann schon eine kleine Spende viel bewirken.
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Kurz nach der Mail mit dieser Bitte - die schon fast eine Woche
zurück liegt - kamen mehrere Berichte über Kinder, die durch Schüsse
ins Gesicht verletzt werden. Diese kamen häufig von der M 16 eines
rabiaten 20-jährigen Siedlers, Amos, der auf der illegalen
Ranchsiedlung von Avri Ran lebt und nichts anderes im Kopf hat, als
Palästinenser zu beschießen. Dorothy war bei einigen
Gerichtsterminen gegen Avri Ran zugegen. Sie schreibt: "Es war
unglaublich, wie der Richter Avri Ran (ein Randalierer, der in jedem
Land, wo Gerechtigkeit gilt, im Gefängnis säße) umarmte und fast
küsste und an seinen Worten hing als wären sie Honig. Es war das
Ekelhafteste, das ich je gesehen habe. So ist die Gerechtigkeit in
Israel, wenn es auch einige isolierte Fälle wirklicher Gerechtigkeit
gibt. Vor dem Urteil war es bereits offensichtlich, wie es ausfallen
würde."
Weiter schreibt sie, " Ich erhalte immer noch Emails als Antwort auf
Berichte wie der obere, die mir sagen, dass die Schuld bei
palästinensischen Eltern liegt, die ihre Kinder zum Kämpfen
schicken. Solche Unwissenheit! Zum einen sind viele der getöteten
und verletzten Kinder einfach im falschen Augenblick an der falschen
Stelle gewesen, andere waren unschuldige Ziele für übende Soldaten,
und auch die, die an den Demos teilnehmen werden nicht durch ihre
Eltern 'geschickt'.
Jedenfalls ist diese Vorstellung von "palästinensischen Eltern die
ihre Kinder zum Kämpfen schicken' falsch und lächerlich, sie
entlastet nur die Psyche von denen, die sich auf diese Weise über
die Palästinenser stellen können. Das rechtfertigt das Töten von
Kindern, nicht wahr?"
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In Haarez wird berichtet, dass ein IDF Sprecher zur Rechtfertigung
der schweren Verletzung eines 14-jährigen gesagt hätte, als
Protestler sich weigerten, ihre Blockade einer Baumaschine
aufzugeben, sie besondere Maßnahmen einsetzen mussten, um die
Demonstranten zu vertreiben.
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In derselben Post berichten ISM Aktivisten von der Erschießung eines
14-jährigen Jungen nachts in den Bergen bei Nablus.
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Vorige Woche wurden acht der 17 Festgenommenen, hauptsächlich
Jugendliche, aus Bil'in zu 2-4 monatigen Gefängnisstrafen plus 1000
NIS Bußgeld verurteilt wegen ihrer Beteiligen an den gewaltfreien
Demos - darunter auch der 14jährige Abdullah Ahmed Yassin. Einem
Aktivisten bot man die Entlassung gegen 10 000 NIS Kaution, die
Staatsanwaltschaft kann
aber in die Berufung gehen. Die anderen acht werden weiterhin in
Gewahrsam bis zu ihren Prozessen im nächsten Jahr gehalten. Die
Anklage
lautete in jedem Fall Beschädigung der Barriere.
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Dagegen wurde, seltenerweise, das Urteil gegen zwei israelische
Aktivistinnen aufgehoben, darunter eine Mitbegründerin der ISM, die
auch in der Muqata'a Anlage bei Arafat während der Belagerung 2002
ausgeharrt hatte. Der Richter, Rafi Strauss, sagte noch, er müsse
"seinen Zorn und seine Missachtung gegen das Vorgehen der Polizei
zum Ausdruck bringen".
Diese hat außerdem trotz mehrere Beschwerden bisher keinerlei
Schritte gegen die Siedler in Tel Rumeida ergriffen. Im Gegenteil
bemüht sie sich lediglicht, Menschenrechtsbeobachter aus der Stadt
zu entfernen.
Mehrere sind bereits festgenommen worden. Allerdings hat ein Richter
in Jerusalem sich geweigert, der Bitte der Polizei nachzukommen,
vier internationale Aktivisten abzuschieben.
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Trotz der weitergehenden Gewalt ist ein großer Hoffnungsschimmer am
Himmel erschienen in der Person von Amir Perez, der neue Führer der
Arbeiterpartei in Israel. Endlich verleiht einer der Mehrheit der
Bevölkerung ein Stimme, die einerseits ein Ende der gewaltsamen
Besetzung herbeisehnen und andererseits unter der wachsenden Schere
zwischen Arm und Reich in Israel leiden und sich dagegen empören,
dass die Nöte der Armen von der Regierung ignoriert während riesige
Summen in die Siedlungen investiert werden - von den
Rüstungsausgaben in einem der am höchsten gerüsteten Länder der Erde
ganz zu schweigen. Da die Partei Sharons zugleich auseinander zu
fallen droht, wächst die Hoffnung auf einen gründlichen Umschwung in
der Politik Israels nach der für März angesetzten Wahlen.
Gottseidank.
Gruß, Anka
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