Die Jüdische Stimme braucht keinen Koscher-Stempel - 13. Januar 2019 - Seit über 15 Jahren ist die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V. aktiv. In enger Zusammenarbeit mit mehreren palästinensischen und israelischen Organisationen dokumentieren und bekämpfen wir die vom Staat Israel begangenen Menschenrechtsverletzungen und verbreiten oppositionelle jüdische Stimmen, die im Mainstream-Diskurs oft nur am Rande vernehmbar wären. Durch unsere schlichte Existenz und unsere Aktivitäten hat die deutsche Öffentlichkeit die Gelegenheit, einer vielfältigen und kritischen jüdischen Gemeinschaft in diesem Land ins Auge zu sehen.

In letzter Zeit verstärkten sich Druck und Gegenmaßnahmen gegen unser Eintreten für einen gerechten und friedlichen Weg zu gleichem Recht für die palästinensischen und israelischen Menschen und zur Beendigung der Besatzung. Seit über zwei Jahren führen nun rechtsgerichtete Aktivisten und Vertreter der israelischen Regierung eine Kampagne zur Auflösung unseres Kontos bei der deutschen Bank für Sozialwirtschaft. 2016 gab die Bank für kurze Zeit diesem koordinierten Druck nach und kündigte die Auflösung des Kontos an. Dieser Beschluss wurde später wieder zurückgezogen, nachdem wir uns mit Vertretern der Bank getroffen hatten und dabei die völlige Legalität und Legitimität unserer Arbeit erklärten und damit die gegen uns erhobenen Falschbehauptungen entkräften konnten.

Im Dezember 2018 erlag die Bank aufs Neue dem Druck pro-israelischer Gruppen. Sie beschloss, in Absprache mit dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Dr. Felix Klein, es solle ein “Gutachten” eingeholt werden, um zu entscheiden, ob unsere Organisation als „antisemitisch einzustufen“ sei. Die deutsche Historikerin Dr. Juliane Wetzel nahm den Auftrag an, solch eine Einstufung vorzunehmen, und zwar auf Basis der hochgradig politisierten IHRA-Definition von Antisemitismus. Wir wurden zu diesem Beschluss weder konsultiert noch darüber informiert, bevor er an die Medien gelangte. In einem Brief an unsere Vorsitzende gab man uns lediglich die Option, an dieser Ermittlung in Form persönlicher Interviews mitzuarbeiten. Unsere Organisation lehnt dieses Vorgehen kategorisch ab und weigert sich, zu einer solchen Überprüfung anzutreten, aus folgenden Gründen:

  • 1. Wir weigern uns, einer deutschen Behörde die Definitionshoheit darüber zu geben, welche Juden antisemitisch seien oder nicht. Wir halten dies für eine präzedenzlose Maßnahme. Als Organisation mit ausschließlich jüdischen Mitgliedern sehen wir diese Ermittlung als Versuchsballon an, uns den Schutz vor rassistisch motiviertem Antisemitismus abzuerkennen und den Begriff “Antisemitismus” so zu manipulieren, dass er kurzfristigen Politikbedürfnissen der israelischen Regierung dient. Als Jüdinnen und Juden, deren Familien dem deutschen Antisemitismus zum Opfer fielen – auch dem Antisemitismus deutscher Finanz- und Wissenschaftsinstitute – weigern wir uns, in ein solch zweifelhaftes Unterfangen mit einem offensichtlich so widerwärtigen Nachhall aus der Geschichte miteingespannt zu werden. Wir lassen uns unser Selbstverständnis als Juden von keinem deutschen Experten vorschreiben.

Eine Teilnahme an diesem Verfahren in jeglicher Form würde bedeuten, ihm Legitimität zu verleihen.

  1. Die Begutachtung soll sich auf die problematische und umstrittene IHRA-Definition von Antisemitismus stützen (International Holocaust Remembrance Alliance). Akademiker, Juristen, und Menschenrechtsorganisationen haben wiederholt aufgezeigt, dass diese “Definition” fehlerhaft und hochgradig politisiert ist und dass sie eine Bedrohung der Meinungsfreiheit darstellt. Ein von 244 Akademikern unterzeichneter Brief stellte 2017 klar, dass diese Definition darauf abzielt, Kritik an Israel mit Antisemitismus zu vermengen, und drückte Besorgnis über diese Einschränkung der Diskussionsfreiheit aus. Genau so liest auch unsere Organisation dieses Dokument. Dass es nun als Waffe gegen uns dienen soll ist ein neuerlicher Skandal.

  1. Es geht hier nicht um Antisemitismus an sich, sondern um die BDS-Kampagne und um den aktuellen Kampf für die Menschenrechte des palästinensischen Volks. Der Korrespondenz mit der Bank konnten wir entnehmen, dass der einzige Vorwurf zur Begründung der Ermittlung gegen die Jüdische Stimme ist, sie unterstütze die BDS-Kampagne. BDS – dies steht für Boykott, Desinvestition und Sanktionen – ist eine weltweite Kampagne zur Ausübung von Druck auf die israelische Regierung mit gewaltfreien Methoden, damit sie ihre Unterdrückungspolitik gegen die Palästinenser beendet. Der Angriff auf die Jüdische Stimme ist eigentlich Teil einer von Israel inszenierten Kampagne, mit der die BDS-Bewegung zum Schweigen gebracht werden soll. Durch die Delegitimierung einer jüdischen Organisation, die BDS unterstützt, soll ein Präzedenzfall geschaffen werden, um die Delegitimierung von Dutzenden Organisationen in Deutschland anzubahnen, die ebenfalls BDS unterstützen.

Unsere Position ist ganz klar: Unsere Gruppe hat stets ihre Stimme auf Seiten des gewaltfreien Kampfs für Frieden und Gerechtigkeit in Israel und Palästina erhoben und hat immer wieder Stellung gegen Ausdrucksformen von Rassismus und Antisemitismus bezogen, auch in Fällen, wo sich diese als Kritik Israels tarnten. Unberechtigte Vorwürfe über Antisemitismus aber, als ein Mittel um Menschen und Organisationen, die sich für Menschenrechte für das palästinensische Volk aussprechen, in schlechtes Licht zu rücken und mundtot zu machen, sind mittlerweile zu einem unvermindert anhaltenden internationalen Trend geworden. Diese Machenschaften gehören offen benannt und zurückgewiesen. Sie richten Schaden an, in erster Linie bei den palästinensischen Menschen, die weiterhin für ihre grundlegenden Rechte und Freiheiten kämpfen, aber auch bei uns jüdischen Menschen, indem Aufmerksamkeit von tatsächlichen Erscheinungsformen von Antisemitismus abgelenkt wird und haltlose Vorwürfe gegen Jüdinnen und Juden erhoben werden, die zu Israels Politik kritisch eingestellt sind. Zynisch wird ihr Einsatz als “Indiz” für die Feindseligkeit präsentiert, unter der sie, als jüdische Menschen, genauso leiden.

Als letztes sei hier angemerkt: Der Beschluss, gegen uns eine Ermittlung zu beauftragen, wurde einseitig gefällt. Die Bank für Sozialwirtschaft hat weiterhin Informationen über unser Konto und über ihre Strategie gegen unsere Organisation ohne unsere Zustimmung veröffentlicht. Auch dies ist inakzeptabel. Ein solches Verfahren missachtet unsere politischen Rechte über Gebühr.

Wir werden diesen bedauerlichen Vorfall als Gelegenheit nutzen, um diese Taktiken zu beleuchten, mit denen Kritiker der israelischen Besatzung zum Schweigen gebracht werden, und um unseren Einsatz für Frieden mittels uneingeschränkter politischer Kritik und der bescheidenen und doch mächtigen Ethik der Solidarität, auf deren Basis sich unsere Gruppe gründete, weit zu verbreiten.

Allen Einzelpersonen und Organisationen in Deutschland und weltweit, die ihre Solidarität mit uns gezeigt haben, sind wir zu großem Dank verpflichtet, und wir konzentrieren uns weiterhin auf unsere Aufgabe: Gerechtigkeit und Frieden im Nahen     Quelle

 

 

 




Kommentar Antisemitismusvorwürfe - Kurios, naiv, hilflos - Die Bank für Sozialwirtschaft will prüfen, ob die NGO „Jüdische Stimme“ antisemitisch ist. Deutsche darüber entscheiden zu lassen ist gefährlich. Je autoritärer Regierungen agieren, desto mehr müssen sie auf Abschottung gegen Kritik setzen. Diese Mechanik ist in Ungarn, Polen und Russland zu beobachten. In illiberalen Demokratien stehen stets NGOs, Intellektuelle und KünstlerInnen, die sich der Regierungskontrolle entziehen, unter Generalverdacht. In diese Richtung bewegt sich seit Längerem, in letzter Zeit rasant die israelische Regierung. Medien und Künstler werden in Israel an die Kandare genommen. Das 2018 verabschiedete Nationalstaatsgesetz degradiert arabische Israelis offiziell zu Bürgern zweiter Klasse. Jizchak Herzog, Oppositionsführer und früher Minister unter Netanjahu, hat wohl recht mit der Diagnose, dass Israel an „Nationalismus erkrankt“ ist. Neuerdings versucht Netanjahu sogar Deutschland auf Kurs zu bringen. Die Bundesregierung solle gefälligst NGOs, die die Besatzung kritisieren, nicht unterstützen. >>>